Artikel 12. Religionsfreiheit vor der Verfassung. 183
land als solchen zu besteuern, insbesondere Abgaben — „Abschoß—
gelder“ — zu erheben in dem Falle, wenn Kapitalien durch Erbgang
oder Schenkung außerhalb Landes gehen, unberührt. Abs. 2 des
Artikels beseitigt das Abzugsgeld (Abfahrtsgeid, Nachsteuer, gabella
emigrationis, vgl. ALK II 17 8§ 141 ff.), nicht auch das ihm nahe ver-
wandte, mit ihm aber nicht zu verwechselnde Abschoßgeld (gabella
hereditaria, vgl. ALR II 17 §F 161 ff., oben S. 180 und vbR3Z 2 201
Anm. 2, 202 Anm. 1). Gleichwohl gehört auch das Abschoßgeld schon lange
der Vergangenheit an. Es ist seinem Wesen nach eine besondere Form
der Erbschafts- und Schenkungssteuer, welche dadurch, daß die neueren
Gesetze über diese Steuern sie nicht ausgenommen haben, aufgehoben
worden ist. In Preußen ist dies — spätestens — geschehen durch das
Erbschaftssteuergesetz vom 30. Mai 1873, für das gesamte Reich durch
das Reichs-Erbschaftssteuergesetz vom 3. Juni 1906.
Artikel 12.
Die Freibeit des religiösen Bekenntnisses, der Dereinigung
zu Religionsgesellschaften (Art. 3o und 31) und der gemein-
samen häuslichen und öffentlichen Religionsübung wird ge-
währleistet. Der Genuß der bürgerlichen und staatsbürger-
lichen Rechte ist unabhängig von dem religiösen Bekenntnisse.
Den bürgerlichen und staatsbürgerlichen Hflichten darf durch
die Ausübung der Religionsfreiheit kein Abbruch gescheben.
1. Recht und Schranken der Religionsfreiheit vor der Ver-
fasemng. — Die durch Art. 12 gewährleistete Religionsfreiheit war,
als man sie 1848 unter die Grundrechte des preußischen Volkes ein-
reihte, für dieses Volk und seinen Staat nichts Neues. Konnte sie
doch damals schon auf eine Entwicklung von anderthalb Jahrhunderten
zurückblicken, und auf eine Entwicklung, die, sehr im Gegensatze zu andern
deutschen Ländern, niemals eine Leidensgeschichte gewesen war. Die
Stellung des altpreußischen Staates zu dem Glaubensleben seiner Unter-
tanen ist für seine Zeit, jedenfalls das 18. Jahrhundert, durchaus eigen-
und einzigartig. Vornehmlich in drei Punkten eilt sie dem gemein-
deutschen Gange der Dinge voraus: in der Gewährung der Religions-
freiheit als individueller Gewissens= und Bekenntnisfreiheit, in der kon-
sessionellen Neutralität des Staates, der seit seinen Anfängen im 17. Jahr-
hundert als solcher weder reformiert, wie sein Herrscherhaus, noch luthe-
risch, wie die große Mehrheit seiner Bewohner noch katholisch, wie