184 Artikel 12. Religionsfreiheit im altpreußischen Staat.
eine ansehnliche Minderheit der letzteren, sondern paritätisch war, —
endlich in einer weitgehenden, das intolerante Gebot des alten Reichs-
rechts (westf. Frieden, I. P. O., Art. VII 82) nicht achtenden Duldung
des Sektenwesens. Diese Grundsätze sind für die Kirchenpolitik des
preußischen Staates schon zu Beginn des 18. Jahrhunderts unge-
schriebenes Recht gewesen; die Gestalt des geschriebenen nahmen sie
zuerst an in dem 1784/85 veröffentlichten Entwurf des Allgemeinen Ge-
setzbuches (T. 1 Abt. II Tit. 6 KFI 1 ff.), von wo sie, allerdings unter
Beifügung unduldsamer Zwangsvorschriften wider bekenntniswidrige
Irrlehren in der evangelischen Kirche und die Propaganda der Sekten,
zunächst in das (sog. Wöllnersche) Religionsedikt vom 9. Juli 1788 (NCC
VIII 2175) und sodann, nach Wiederentfernung dieser der preußischen
Überlieferung fremden Einschränkungen, in das A#l#, II 11 §§ 1 f..,
übergingen.
Nach dieser Kodifikation der Staatspraxis des 18. Jahrhunderts
war Religionsfreiheit in folgendem Umfange gewährt. Voran steht das
Prinzip der individuellen Glaubens= (Bekenntnis- oder Gewissensfrei-
heit): „Die Begriffe der Einwohner des Staats von Gott und göttlichen
Dingen, der Glaube und der innere Gottesdienst können kein Gegen-
stand von Zwangsgesetzen sein. Jedem Einwohner im Staat muß eine
vollkommene Glaubens- und Gewissensfreiheit gestattet werden. Nie-
mand ist schuldig, über seine Privatmeinungen in Religionssachen Vor-
schriften vom Staate anzunehmen. Niemand soll wegen seiner Reli-
gionsmeinungen beunruhigt, zur Rechenschaft gezogen, verspottet oder
gar verfolgt werden“ (ALR II 11 KP 1—4). In dieser persönlichen
Glaubensfreiheit ist das Recht auf ungestörte devotio domestica (Haus-
andacht) inbegriffen: „Jeder Hausvater kann seinen häuslichen Gottesdienst
nach Gutbefinden anordnen“ (5 7 h. t.), nur darf er dabei nicht die Be-
teiligung andersgläubiger Haushaltungsangehöriger fordern (& 8). Dem
Wechsel des Glaubensbekenntnisses steht nach dem Gesetz nichts im
Wege (§§ 40, 41), tatsächlich wurde freilich nur der Übertritt von einer
zu. einer anderen christlichen Religionsgesellschaft, nicht aber z. B. zum
Judentum gestattet (vgl. Koch, Komm. z. A#Zn, II 11 § 40). Hatte sonach
der Staat des ALR auf sein ius reformandi dem einzelnen Individuum
gegenüber verzichtet, so hielt er an diesem Hoheitsrecht fest, soweit es
sich um den gesellschaftlichen Zusammenschluß der einzelnen zu religiösen
Zwecken handelte: die Glaubensfreiheit als individuelle Bekenntnisfrei-
heit war gewährt, als Assoziationsfreiheit und gesellschaftliche Kultus-
freiheit dagegen versagt, worin jedoch für eine Zeit, die — in Preußen
und anderwärts — der Assoziation auch zu andern als religiösen