Artikel 12. Bekenntnisfreiheit als Freiheit des Schweigens. 193
Berufung auf die dienstliche Gehorsamspslicht verlangt wird. Denn
das Prinzip der Religionsfreiheit ist als Ganzes und in seinen einzel-
nen Folgesätzen allgemeines, zwingendes Recht, welches durch die
besonderen Vorschriften des Beamtenrechts nicht durchbrochen wird
(übereinstimmend v. Seydel, Bayrisches St R 3 483 Anm. 4). Der Satz
der Frankfurter Grundrechte „Niemand ist verpflichtet, seine religiöse
Uberzeugung zu offenbaren“ (RVf von 1849 § 144 Abs. 2) gilt mithin,
wenngleich nicht in der Verfassung ausgesprochen, auch nach positivem
preußischem Staatsrecht, und zwar unbedingt. Dagegen ist die Befugnis
des Staates, die Zugehörigkeit des einzelnen zu einer Religions-
gesellschaft als rein äußerlichen Tatbestand festzustellen, nicht so unbe-
dingt zu verneinen. Das AL### bestimmt hierüber: „Der Staat kann
von einem einzelnen Untertan die Angabe, zu welcher Religionspartei
sich derselbe bekenne, nur alsdann fordern, wenn die Kraft und
Gültigkeit gewisser bürgerlicher Handlungen davon abhängt" (& 5 h. t.).
Diese Vorschrift wird heute kaum noch von Bedeutung sein, da das
bürgerliche Recht das Religionsbekenntnis als Grund der Gültigkeit
oder Ungültigkeit von Rechtshandlungen nicht mehr kennt; — sie
zeigt aber, wie schon der Gesetzgeber des ALR die Verpflichtung des
Untertanen, auf Befragen seine Konfession, d. h. die Zugehörigkeit zu
einer Religionsgesellschaft anzugeben, ganz im Sinne des modernen
Staates beschränkt. Der Staat, dies ist der weitere und allgemeine
Sinn des zitierten §5, darf fragen, zu welcher Religionsgesellschaft
der Befragte sich hält, er darf diese Frage aber nicht stellen aus
religiösen bzw. religionspolitischen, sondern nur aus „bürgerlichen“
Gründen, etwa behufs strasprozessualer Feststellung der Identität einer
Person, oder im Interesse des Unterrichts, insbesondere des Religions=
unterrichts an öffentlichen Schulen, oder zu lediglich statistischen Zwecken.
In solchen Fällen liegt überall das nicht vor, was der Kultusminister
v. Ladenberg in jener Außerung (s. o. S. 192) als „Inquisition“ be-
zeichnete: Fragegegenstand ist die Religion oder Konfession nicht als
solche, sondern als Unterlage und Mittel, um zu anderweiten Fest-
stellungen zu gelangen. Insoweit ist also den zuständigen Staats-
behörden das Recht auf Auskunft nicht zu bestreiten; nur freilich, daß
es sich, wie jede andere behördliche Befugnis im Rechtsstaat, stets auf
einen Rechtssatz stützen muß. Beispiele von Fällen, in denen die
Befragung über die Konfession ausdrücklich vorgeschrieben ist, bieten:
8P # 395, StrPO # 7, PersonenstandsG §#§ 22, 54, 59, Einkommen-
steuere vom 24. Juni 1891, Fassung vom 19. Juni 1906 §5. 23. Auch poli-
zeilich wird, z. B. von Personen, die sich aus Anlaß eines Wohnsitz-
Anschüs, Preuß. Berfassungs-Urkunde I. Band. 13