202 Artikel 12. Der Begriff der Religionsgesellschaft im Sinne der Berfassung.
familiaren Personenkreis. Die ihre Hausandacht verrichtende Fa-
milie ist keine Religionsgesellschaft und nie als solche angesehen worden.
2. Ein Glaubensbekenntnis. Zuzugeben ist, daß für den hier erörter-
ten Begriff nicht jeder Glaube, sondern nur ein solcher genügt, „welcher
auf der Verehrung einer persönlichen Gottheit beruht“ (Seydel a. a. O. 486).
Dies folgt aus dem Wesen der Religion. Der Glaube an das Nicht-
sein Gottes — der Atheismus — ist in seiner Art auch ein Glaubens-
bekenntnis, aber sicher kein Religionsbekenntnis und eine Vereinigung
zur Pflege und Verbreitung dieser Lehre daher keine Religionsgesell-
schaft im Sinne des Artikels 12. Das gleiche gilt von den Organisationen
anderweiter philosophischer oder naturwissenschaftlicher Weltanschauungen
(Pantheismus, Monismus, Materialismus). 3. Ein nicht sowohl „be-
stimmtes“ (formuliertes) als besonderes, ein differenziertes Be-
kenntnis, wodurch sich die Religionsgesellschaft, die es hat, von andern
unterscheidet. 4. Die Absicht, eine um fassende und ausschließliche
gesellschaftliche Organisation der Anhänger des betreffenden
Bekenntnisses darzustellen. Die Beschränkung auf den lokalen
Verband, die religiöse Einzelgemeinde ist dem verfassungsmäßigen
Begriffe der Religionsgesellschaft fremd, die „Religionsgesellschaften“ der
Verfassung sind nicht gleichbedeutend mit den landrechtlichen „Kirchen-
gesellschaften“ (d. h. den Einzelgemeinden, vgl. oben S. 199); richtig
Bornhak, Pr. St R (1. Aufl.) 3 627, AM Schwartz 78.
Nach den bisherigen Ausführungen ist vor allem deutlich, daß
„Religionsgesellschaft“ ein engerer Begriff ist als „religiöser Verein“:
jede Religionsgesellschaft ist ein religiöser Verein, aber nicht umgekehrt.
Religiöse Vereine, jedoch keine Religionsgesellschaften sind z. B. Vereine
mit interkonfessionellem Zweck oder Mitgliederbestand (man denke an
Vereine zur Pflege christlicher oder kirchlicher Kunst, deren Mitglieder
verschiedenen Bekenntnissen angehören). Ferner: Vereinigungen zu
Spezialzwecken einer bestimmten Konfession. Hierher gehört die ge-
samte Kategorie der „geistlichen Gesellschaften“ (Art. 13), an der
Spitze die Orden und Kongregationen der katholische Kirche, hierher zählen
weiterhin die katholischen Konfraternitäten, die karitativen Vereine der
evangelischen Kirche, Bibelgesellschaften, Vereine für äußere und innere
Mission im Dienste des einen oder anderen Bekenntnisses, defensive
und propagandistische Organisationen, wie der Evangelische Bund, der
evangelische Gustav-Adolfsverein, der katholische Piusverein usw.
Personenvereinigungen, welche unter den vorstehend entwickelten
Gesichtspunkten als Religionsgesellschaften nicht anzusehen sind, können
sich hinsichtlich der Freiheit ihrer Entstehung und Tätigkeit auf