Artikel 12. Bedeutung der religiösen Assoziationsfreiheit. 203
Art. 12 nicht berufen; dieser Artikel gewährleistet ihnen in assoziativer
Beziehung (im Gegensatz zu der individuellen Bekenntnisfreiheit ihrer
Mitglieder) nichts. Die Garantie ihrer Freiheit vom Staat finden sie
nicht in der speziellen, auf Religionsgesellschaften beschränkten Be-
stimmung des Art. 12, sondern in den allgemeinen Reichs- und
Landesgesetzen über die Vereins= und Versammlungsfreiheit; in dem
NRV und den daselbst, § 24, aufrechterhaltenen Vorschriften des
Landesrechts „über kirchliche und religiöse Vereine und Versammlungen,
über kirchliche Prozessionen, Wallfahrten und Bittgänge, sowie über
geistliche Reden und Kongregationen“, — insbesondere, was Preußen
betrifft, in den Art. 29, 30, 15 der Verfassung und dem Pr VG vom
11. März 1850.
Zu betonen ist namentlich (im Gegensatz zu den Ausführungen
einiger Abgeordneten der I. RevK.: v. Ammon, v. Daniels, Walter,
I. K.962—964), daß den katholischen Orden und Kongregationen Assoziations-
freiheit durch Art. 12 nicht gewährt ist; diese „)geistlichen Gesellschaften“
gehören nicht zu den „Religionsgesellschaften“ im Sinn des Artikels,
sondern sind etwas anderes, wie insbesondere auch die Nebeneinander-
stellung der Ausdrücke „Religionsgesellschaften“ und „geistliche Gesell-
schaften“ im Art. 13 (s. zu diesem Artikel S. 238ff.) und im EßG#,
Art. 84, beweist. Ob die Gründung und Niederlassung von Orden und
Kongregationen durch Art. 15 freigegeben worden ist und der Widerruf
dieser Freigabe durch das Gesetz betr. die geistlichen Orden und ordens-
äahnlichen Kongregationen der katholischen Kirche vom 31. Mai 1875 dem-
entsprechend die Abänderung jenes Artikels (oder event. auch des Art. 30)
erforderte, ist hier nicht zu erörtern; Art. 12 ist durch das Ordens-
gesetz und das darin ausgesprochene grundsätzliche Verbot aller Orden
und Kongregationen, wie dies auch die Ansicht der gesetzgebenden
Faktoren war, keinesfalls berührt worden. —
Die durch Art. 12 zum Verfassungsgrundsatz erhobene Assoziations-
freiheit der Religionsgesellschaften bedeutet und bewirkt, daß jedes
Bekenntnis sich gesellschaftlich organisieren kann, ohne hierzu staatlicher
Genehmigung zu bedürfen oder ein staatliches Verbot besorgen zu
müssen. Das alte ius reformandi ist insoweit in seiner erlaubenden
(ius tolerandi) wie in seiner verbietenden Seite (ius reprobandi)
aufgehoben.
Da „Religionsgesellschaft“ im Sinne der Verfassung nicht gleich-
bedeutend ist mit dem, was das A#LR „Kirchengesellschaft“ nennt,
d. h. mit der kirchlichen Einzelgemeinde (s. oben S. 199), braucht sich
die durch Art. 12 gewährte Assoziationsfreiheit nicht auf die Bildung