214 Artikel 12. Kultusfreiheit. Häusliche Religionsübung.
schärft durch KO vom 9. März 1844 (vgl. vR 2 157 Nr 5), ist auf-
gehoben (vgl. Hinschius, Preuß. Kirchenrecht 5 N. 8, 9), während es
z. B. in Bayern in Gestalt des § 4 Rel.-Ed. vom 26. Mai 1818 noch
heute in Kraft steht (v. Seydel, Bayer. StR 3 484). Wenn ich
Menschen: Verwandte und Nichtverwandte, Laien und Geistliche, in
beliebiger Zahl zu mir bitte, um nach meinem oder der Anwesenden
„Gutbefinden“ Kultuslübungen zu veranstalten, so berechtigt diese Tat-
sache die Polizei ebensowenig zu einem, sei es auch nur kontrollierenden,
Einschreiten wie irgend eine andere Form privater Geselligkeit. Das
Vereinsgesetz findet auf solche Zusammenkünfte — vorausgesetzt, daß
jeder Teilnehmer einzeln eingeladen und eingeführt ist und nicht etwa
eine als geschlossene Privatgesellschaft maskierte tatsächlich öffentliche
Versammlung vorliegt — keine Anwendung (OG 20 440ff.; vgl. unten
bei Art. 29, 30, S. 528). Das Eindringen in Privatwohnungen ist
der Polizei auch hier wie sonst nur in den durch das Gesetz vom
12. Februar 1850 — (. oben Art. 6 S. 145, 146 — bezeichneten
Fällen gestattet. Gegen die Veranstaltung privatgottesdienstlicher Zu-
sammenkünfte in Privatwohnungen könnte auch nicht eingewendet
werden, daß solche Zusammenkünfte mehr seien als „häusliche“ und
etwas anderes als „öffentliche“ Religionsübung, Art. 12 aber nur das
eine oder das andere, devotio domestica oder exercitium publicum,
gestatte. Dieser Einwand wäre unbegründet. Art. 12 stellt nicht ledig-
lich die beiden historischen Extreme der Kultusübung zur Wahl, sondern
gestattet auch, wie bereits erwähnt, alle denkbaren Zwischenformen;
indem er die gemeinsame Religionsübung selbst als „öffentliche“ freigibt,
erkennt er auch jede andere, mindere Form des „gemeinsamen“ — d. h.
in beliebig zu bildenden Gemeinschaften betätigten — Gottesdienstes
allgemein als berechtigt an.
b. Konstituiert sich eine Gemeinschaft der eben gedachten Art,
wozu sie keineswegs verpflichtet, aber kraft der durch Art. 12 gewähr-
leisteten Assoziationsfreiheit (s. oben S. 197ff.) jederzeit berechtigt
ist, zur Religionsgesellschaft, so steht ihr ipso iure auf Grund
der Verfassung das Recht und die Freiheit der gemeinsamen
öffentlichen Religionsübung zu. Das historische Höchstmaß der
Kultusfreiheit, früher das Vorrecht der Landeskirchen, ist somit zum
Gemeinen Recht aller Religionsgesellschaften ohne Unterschied der
Größe und rechtlichen Natur (also auch ohne Rücksicht auf das Vor-
handensein der Korporationseigenschaft) geworden. Im Punkte der Kultus-
freiheit gilt verfassungsmäßig Parität zwischen Kirche und Sekte. Die
Einrichtungen und Formen ihres Kultus zu bestimmen ist der Autonomie