Full text: Die Verfassungsurkunde für den Preußischen Staat. Erster Band: Einleitung. Die Titel. Vom Staatsgebiete und Von den Rechten der Preußen. (1)

4 Stein. 
ganz von anti-absolutistischem Geist durchweht. Der in ihr enthaltene 
Ausspruch: „Der preußische Staat hat keine Staatsverfassung, denn die 
oberste Gewalt ist nicht zwischen dem Oberhaupt und der Vertretung 
der Nation geteilt“ ist doch nicht bloß ein Erkenntnis-, sondern ein 
Werturteil, und ein tadelndes: die oberste Gewalt ist, so meint es 
Stein, leider nicht nach dem Richtmaß der Montesquieuschen Lehre 
geteilt; sie soll, wenn auch nicht sofort und mit einem Schlage, zwischen 
dem Könige und den „Vertretern der Nation“, also einer konstitutionellen 
Volksvertretung, geteilt werden. Ganz konstitutionell gedacht ist ferner 
die Hauptforderung der Denkschrift: die Beseitigung des zwischen Krone 
und Ministern stehenden „Kabinetts“ und die Herstellung voller persön- 
licher Verantwortlichkeit der Minister. Letztere, die Männer, „welche die 
Staatsgeschäfte dem Könige zur endgültigen Entscheidung vortragen, 
müsssen gesetzlich und öffentlich dazu berufen, ihre Versammlungen müssen 
zweckmäßig organisiert und mit Verantwortlichkeit ausgerüstet werden“ 
(Lehmann 1 406). Schärfer noch tritt die Abkehr von dem Absolutis- 
mus hervor in der Nassau, Juni 1807 datierten Denkschrift (Leh- 
mann 2 65 ff.), der bedeutendsten programmatischen Kundgebung des 
Freiherrn vom Stein. Diese Schrift ist in letzter Linie eine Kritik 
der Büreaukratie, der Eigenschaft des damaligen Preußens als eines reinen. 
Beamtenstaates, in dem der „Mietlingsgeist“ besoldeter Diener einseitig 
die Herrschaft führe. Diese Herrschaft will Stein brechen durch Ein- 
führung des politischen Prinzips, welches man später Selbstverwaltung 
genannt hat: durch eine umfassende Heranziehung unbeamteter Elemente 
zu den Geschäften der staatlichen und kommunalen Verwaltung. In 
solcher Beteiligung des Volkes bei der Willensbildung der öffentlichen 
Gewalt sieht Stein „ein krästiges Mittel, die Regierung durch die 
Kenntnisse und das Ansehen aller gebildeten Klassen zu verstärken, 
sie alle durch Uberzeugung, Teilnahme und Mitwirkung bei den Na- 
tionalangelegenheiten an den Staat zu knüpfen, den Kräften der Nation 
eine freie Tätigkeit und eine Richtung auf das Gemeinnützige zu 
geben" (E. Meier, Reform 141); er hofft von der Verwirklichung 
seiner Vorschläge „die Belebung des Gemeingeistes und Bürgersinnes, 
den Einklang zwischen Nation und Staatsbehörden, die Wiederbelebung 
der Gefühle für Vaterland, Selbständigkeit und Nationalehre“. Die 
Bolksbeteiligung soll überall durch das Mittel gewählter Repräsen- 
tanten erfolgen: so erscheinen in der Nassauer Denlhschrift die Ideen 
der Gemeindevertretung (Stadtverordnetenversammlung), des Kreis- 
tages, Provinziallandtages. Die Forderung einer parlamentarischen Ver- 
tretung des Gesamtvolkes, einer „reichsständtischen Versammlung“, wie
	        
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