Artikel 12. Religionsfreiheit und Bürgerpflicht. 231
angehörigen und Fremden obliegen, „staatsbürgerliche“ solche, die nur
den Staatsangehörigen obliegen.
Aus dem Umkreise der bürgerlichen Pflichten kommen hier ins-
besondere in Frage die polizeilichen, namentlich also alle Anwendungs-
fälle des Grundsatzes (vgl. oben bei Art. 5 S. 140 und Art. 9, S. 162),
wonach jedermann verpflichtet ist, seine Handlungsfreiheit und sein Eigen-
lum nur so zu gebrauchen bzw. einzurichten, daß keine polizeiwidrigen
Zustände, Störungen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung, entstehen.
Dieser Grundsatz findet auch auf die Religionsfreiheit Anwendung.
Natürlich kann diese hier nur als Freiheit des Handelns und Unter-
lassens, nicht als Gedankenfreiheit in Frage kommen: bloße Gedanken
können niemals stören, gehen die Polizei nichts an, sie sind, auch in
diesem Sinne, „gollfrei“.
Die polizeilichen Pflichten sind insbesondere zu befolgen bei
rednerischer Betätigung der Bekenntnisfreiheit (Beispiel: Verkehrs-
störung durch Prediger auf offener Straße) und bei jeder Art von
Ausübung der Kultusfreiheit: bei Einrichtung der Kirchen und anderer
gottesdienstlichen Gebäude und bei allen einzelnen Kultushandlungen.
Sicherheits= und daher polizeiwidrig ist z. B. die Abhaltung einer
religiösen Versammlung in einem baufälligen Gebäude (OVG 42 412f.,
s. oben S. 208). Auch die Landeskirchen sind von der Beobachtung
polizeilicher, namentlich baupolizeilicher Vorschriften nicht entbunden,
vgl. OVG vom 12. April 1907, Selbstv. 1908 Nr. 12 S. 179. Die
Heilsarmee darf die Nachtruhe nicht durch Blechmusik stören, eben-
sowenig wie dies sonst jemand dürfte: OVG im PrVl 19 49.
Nicht anders wie das geistliche Konzert der Heilsarmee könnte aber
auch einer landeskirchlichen Gemeinde das Glockengeläute teilweise oder
ganz untersagt werden wegen Belästigung der Umwohner des Glocken-
turmes (vgl. Schoen im Varch 6 181) oder nach Befinden auch
zur Verhütung von Störungen des interkonfessionellen Friedens, ebenso
wie aus letzterem Beweggrunde katholische Prozessionen polizeilich ver-
boten oder doch an der Uberschreitung des Hergebrachten gehindert
werden können: O 23 410 ff.
Auch sonst wird, was verboten und strafbar ist, nicht dadurch zu
einer erlaubten Handlung, daß es in Befolgung eines Religionsgebotes
oder in Betätigung einer religiösen Ansicht geschieht. Polygamie ist
bei uns auch den Mohammedanern und Mormonen nicht erlaubt. Ist
das sog. Schächten Tierquälerei im Sinne des StrG, so kann es nicht
straflos sein, weil und soweit es durch den Ritus des Judentums geboten
ist. Und wenn es auch nicht als Verstoß gegen § 36013 StrGB au-