234 Artikel 12. Religionsunterricht der Dissidentenkinder.
tum angehört, dem Religionsunterricht der von ihnen besuchten öffent-
lichen Volksschule zu unterwerfen. Der für die Praxis gegenwärtig maß-
gebende Erlaß des Unterrichtsministers vom 16. Januar 1892 (ZU V 435,
auch abgedruckt bei Schwartz 93, und bei v. Bremen, Die preuß. Volks-
schule (1905). 597) verordnet, „daß der Vater eines schulpflichtigen
Kindes, selbst dann, wenn er für seine Person einer staatlich anerkannten
Religionsgesellschaft nicht angehört, gleichwohl verpflichtet ist, das Kind
an dem Religionsunterrichte in der öffentlichen Volksschule teilnehmen
zu lassen, sofern er nicht den Nachweis erbringt, daß für den religiösen
Unterricht des Kindes anderweit nach behördlichem Ermessen in aus-
reichender Weise gesorgt ist;" — beruft sich auf landrechtliche Be-
stimmungen, AL## II 12 § 11 und II 2 §5 75, wonach die Eltern nicht
berechtigt seien, ihre Kinder während des religionsunmündigen Alters
von jeder Unterweisung „in der Religion“ fernzuhalten — und zieht
hieraus den Schluß, daß jene Bestimmungen bzw. die ihnen ent-
sprechenden Rechtssätze der nichtlandrechtlichen Provinzen (°) in Ver-
bindung mit den Vorschriften über den Schulzwang eine bürgerliche
bzw. staatsbürgerliche Pflicht der Eltern und sonstigen Erziehungs-
berechtigten begründe, ihre Kinder „nicht ohne Unterricht in der Religion
zu lassen“ und sich den in bezug hierauf getroffenen Anordnungen
der Schulaufsichtsbehörde zu fügen. Dieser elterlichen Pflicht könne
gemäß Satz 3 durch die Religionsfreiheit, also auch durch den Austritt
der Eltern aus der Kirche, kein Abbruch geschehen. — Danach macht
sich der konfessionslose Vater strafbar, wenn er sein Kind unent-
schuldigt den Religionsunterricht versäumen läßt. Bestrafungen dieser
Art sind auch schon ausgesprochen und vom KS — unter Annahme
seiner Unzuständigkeit, die Rechtsgültigkeit des Min Erl vom 16. Januar
1892 nachzuprüfen — gebilligt worden: KG vom 17. April 1893, ab-
gedruckt bei Schwartz, Komm. 94 f., 14. März 1907, Pr VBl 30 657,
Nr. 26, 25. Januar 1909, „Recht“ 13 301. Gegen diesen Standpunkt der
Verwaltungs- und Gerichtspraxis wird sich de lege lata schwerlich ein
durchschlagender Einwand erheben lassen. Anderer Meinung ist Schwartz
90ff., dessen Ausführungen indessen jedenfalls insoweit fehlgehen, als sie sich
auf das Giesetz vom 14. Mai 1873 betreffend den Austritt aus der Kirche
stützen. Dieses Gesetz kommt hier — abgesehen davon, daß es nur
Großjährigen für ihre Person Rechte gibt und sich auf Kinder nicht
bezieht — deshalb nicht in Betracht, weil der Austritt, den es regelt,
nur von solchen Pflichten befreit, welche dem Austretenden seiner
bisherigen Glaubensgemeinschaft gegenüber obliegen, also von kirchlichen
Pflichten; der Schulzwang ist aber keine kirchliche, sondern eine bürger-