Artikel 12. Religionsunterricht der Dissidentenkinder. 230
liche, eine dem Staate gegenüber bestehende Pflicht. Die Haärte,
welche darin liegt, daß der Staat einen Vater zwingt, seine Kinder
in einer Religion unterrichten zu lassen, welche er, gleichviel aus
welchen Beweggründen, verwirft, ist nicht durch die Behörden ver-
schuldet, sondern durch das Gesetz bedingt, welches jene lediglich anzu-
wenden haben. Sicherlich liegt es in der Folgerichtigkeit des Prinzips
der Religionsfreiheit, daß diejenigen öffentlichen Schulen, zu deren
Besuch der Staat die Kinder seiner Untertanen zwingt, so eingerichtet
sind, daß sie von allen ohne tatsächliche Beeinträchtigung ihrer Religions-
freiheit besucht werden können, und nicht minder unzweifelhaft ist es,
daß von einer solchen Einrichtung ernstlich nur da gesprochen werden
darf, wo der konfessionelle Religionsunterricht — und jeder Religions-
unterricht muß seiner Natur nach konfessionell sein — entweder ganz
oder doch aus dem Kreise der obligatorischen Lehrgegenstände aus-
geschaltet ist (ugl. Hinschius, Staat und Kirche 237). In Preußen
haben aber Verfassung und Gesetz diese letzten Konsequenzen der
Religionsfreiheit oder, was dasselbe bedeutet, der Trennung von Staat
und Kirche, absichtlich nicht gezogen.
Artikel 15.
Die Religionsgesellschaften, so wie die geistlichen Gesell-
schaften, welche keine Korporationsrechte haben, können diese
Rechte nur durch besondere Gesetze erlangen.
1. Entstehungsgeschichte. — Der Artikel beruht auf einem Beschluß
der I. K. Deren Züuesch hatte (I. K. 931; vgl. auch schon die An-
kündigung daselbst 774, 776) folgenden Zusatz zu Art. 11 oktr L (— Art. 12
des geltenden Textes) beantragt: „Religionsgesellschaften, welche keine
Korporationsrechte haben, können diese Rechte nur durch besondere Ge-
setze erlangen.“ Die Motive dieses Amendements lauten (val a. a. O.):
„Der Art. 11 (jetzt 12) verweist auf Art. 29 (jetzt 31) Vll und dieser
auf ein besonderes, noch erst zu erlassendes Gesetz. Eine nähere Be-
stimmung erscheint daher um so nötiger, als bei jetziger Lage der
Gesetzgebung die Staatsregierung die Korporationsrechte zu erteilen hat
und es angemessen erscheint, nicht die Staatsregierung allein den
Religionsgesellschaften gegenüberzustellen."“
„Der ZAussch hat erwogen, daß manche Glaubensmeinungen und
Religionsvereine auftauchen und bald wieder verschwinden, oder nur
unter wenigen Personen fortbestehen oder sich in besondere Schattierungen