Full text: Die Verfassungsurkunde für den Preußischen Staat. Erster Band: Einleitung. Die Titel. Vom Staatsgebiete und Von den Rechten der Preußen. (1)

10 Die Verordnung vom 22. Mai 1815. 
bewahrt werden“, sei beschlossen worden, eine Repräsentation des 
Volkes zu bilden (F1d. V.). Zu diesem Zwecke sind die Provinzial- 
stände, wo sie (aus älterer Zeit her) noch vorhanden sind, wiederherzustellen; 
wo keine vorhanden, sind sie anzuordnen (§ 2). Aus den Provinzialständen 
wird die „Versammlung der Landesrepräsentanten gewählt“, deren Wirksam- 
keit sich erstrecken soll „auf die Beratung über alle Gegenstände der Ge- 
setzgebung, welche die persönlichen und Eigentumsrechte der Staats- 
bürger, mit Einschluß der Besteuerung, betreffen“ (§§ 3, 4). Die „Aus- 
arbeitung einer Verfassungs-Urkunde nach den aufgestellten 
Grundsätzen“ wird einer Kommission übertragen, die „aus einsichtsvollen 
Staatsbeamten und Eingesessenen der Provinzen bestehen“ und schon 
am 1. September 1815 zusammentreten soll (§§ 5—7). 
An dieser Kundgebung Friedrich Wilhelms III. ist mancherlei be- 
merkenswert. Zunächst, daß der zu schaffende zentrale Vertretungs- 
körper nicht „Stände“ oder „Ständeversammlung", sondern „Re- 
präsentation des Volkes“ genannt wird, wobei sicherlich an ein das 
Volk in seiner Gesamtheit und Einheit darstellendes Organ, an eine 
moderne Volksvertretung gedacht war. Hierin und dann auch in der 
Absicht, das neue Staatsrecht Preußens in einer schriftlichen Urkunde zu 
kodifizieren, mutet die Verordnung vom 22. Mai 1815 ganz kon- 
stitutionell an. Immerhin stand aber die verheißene „Versammlung 
der Landesrepräsentanten“ doch, in Formation und Zuständigkeit, von 
allen damals gegebenen Vorbildern konstitutioneller Einrichtungen weit 
ab. Die Formation knüpft so eng wie möglich an das alte Stände- 
tum an: die Landesrepräsentantenversammlung sollte nicht aus Volks- 
wahlen hervorgehen, sondern eine Delegation der „Provinzialstände“, 
gleichsam einen großen ständischen Ausschuß darstellen, besetzt durch 
die althistorischen Landtage, soweit diese noch bestanden oder rekon- 
struierbar waren (wie z. B. in Ostpreußen und Brandenburg), und durch 
neue im altständischen Stile zu eriichtende Vertretungskörper der- 
jenigen Landesteile, in welchen das alte Ständewesen gänzlich ver- 
schwunden und verschollen war (Westpreußen, Schlesien, Rheinprovinz). 
In der Bemessung der Zuständigkeit geht die Verordnung vom 
22. Mai 1815, allem, was damals und später als konstitutionell ge- 
golten hat, widersprechend, noch hinter die Humboldtschen Entwürfe 
einer Deutschen Bundesakte (oben 8) zurück, indem sie die Landes- 
repräsentanten nicht nur bei der Gesetzgebung, sondern selbst im Steuer- 
wesen auf eine lediglich beratende Mitwirkung beschränken will, 
während sie andererseits bezüglich der Frage, welche Arten von Ge- 
setzen dieser Mitwirkung unterliegen („Gesetze, welche die persönlichen
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.