292 Artikel 15. Deklaration und Aufhebung des Artikels.
künftig derartige Gesetze erlassen werden möchten, daß sich diese
Fassung vielmehr auch auf die bestehenden Gesetze beziehe, soweit die-
selben nicht gesetzlich aufgehoben seien. Habe die Staatsregierung einzelne
dieser Gesetze bisher tatsächlich nicht gehandhabt, so sei dies bedeutungs-
los, da es lediglich darauf ankomme, ob dieselben zurzeit noch zu Recht
bestehen (a. a. O. 607). Diese Erklärung wurde von der Kommission akzep-
tiert und im Zusammenhang hiermit — juristisch allerdings nicht
korrekt — von einer „rückwirkenden Kraft“ der Verfassungsdeklaration
gesprochen (a. a. O. 608). —
Die Ansicht, daß das Verfassungsgesetz vom 5. April 1873 lediglich
den wahren Sinn des Art. 15 zum Ausdruck brachte, also als Dekla-
ration aufzufassen ist; daß auch vor dieser Deklaration und ohne sie
Gesetze aufsichtsrechtlichen Inhalts wie die Maigesetze von 1873
verfassungsmäßig zulässig gewesen wären, wird auch von der Literatur
überwiegend geteilt; vgl. insbesondere Hinschius, Kirchengesetze von
1873, XXXV und N. 3, XXXVI, Richter-Dove-Kahl, Kirchenrecht 227,
Kahl, Lehrsystem 196, 197, vR 2 378ff.
Die Deklaration vom 5. April 1873 hat insofern ihren Zweck
nicht erreicht, als sie den Widerspruch gegen die verfassungsmäßige
Zulässigkeit der Maigesetze nicht verstummen ließ. Auch nachdem sie
ergangen, ließ der Ultramontanismus nicht ab, agitatorisch zu be-
haupten, daß jene Gesetze mit der Verfassung unvereinbar seien
(Kultusminister Dr. Falk im Hd Abg 1875, 1280). Als dann der
Widerspruch zu offenem Widerstand und Ungehorsam des katholischen
Klerus gegen die Gesetze anwuchs, als das Oberhaupt der katholischen
Kirche sich dazu verstieg, die Gesetze für nichtig zu erklären (Enzyklika
vom 5. Februar 1875), sah sich die Staatsgesetzgebung gezwungen, die
Zügel der Aufsichtsgewalt über die katholische Kirche noch schärfer wie
bisher anzuziehen, und — da man nunmehr entschlossen war, die er-
lassenen und weiterhin zu erlassenden kirchenpolitischen Gesetze vor
jeder Bestreitung ihrer Verfassungsmäßigkeit sicherzustellen — die streit-
verursachenden Verfassungsartikel 15, 16 und 18 aufzuheben.
Die Aufhebung geschah durch das oben S. 282 wiedergegebene Gesetz
vom 18. Juni 1875. Die Motive dieses Gesetzes (Hd Abg 1875 Drucks.
Nr. 228) weisen darauf hin, wie auch nach Erlaß der Deklaration
vom 5. April 1873 gegen die kirchenpolitischen Gesetze und Regierungs-
maßregeln fort und fort, sowohl im Landtage wie in der Presse der
Einwand der Verfassungswidrigkeit erhoben werde. Man verdächtige
hierdurch die Staatsregierung eines verfassungswidrigen Verhaltens
und bezeichne Gesetze, noch ehe sie verkündigt worden, als solche,