Full text: Die Verfassungsurkunde für den Preußischen Staat. Erster Band: Einleitung. Die Titel. Vom Staatsgebiete und Von den Rechten der Preußen. (1)

306 Artikel 15. Rechtliche Natur und Wirkungskreis 
Doch gilt dies eben nur grundsätzlich: soweit das Gesetz nicht ein 
anderes bestimmt. Die gleichheitlich privatrechtliche Natur des „Ordnens 
und Verwaltens“ ist, sowohl was die Gleichheitlichkeit wie was das 
Privatrechtliche anlangt, kein zwingender Grundsatz, sondern eine Regel, 
welche Ausnahmen gestattet. Die Verfassung fordert wie sonst (val. 
darüber oben S. 226 ff., 246, 264 ff.), so auch in dieser Hinsicht die Parität 
der Religionsgesellschaften nicht unbedingt. Wie die ausdrückliche Er- 
wähnung und Voranstellung der evangelischen und katholischen Kirche 
von den „anderen Religionsgesellschaften“ ausgesprochenermaßen (oben 
S. 266, 298) zu dem Zwecke geschah, um darzutun, daß Art. 15 die 
„feierlich verbrieften“ Vorrechte dieser Landeskirchen nicht beeinträchtigen 
wolle, so ist auch die Erweiterung dieser Vorrechte sowie ihre Üüber- 
tragung an andere, nicht landeskirchliche Religionsgesellschaften durch 
Art. 15 ebensowenig wie durch Art. 12, 13, 14 (s. oben S. 226, 246, 264 ff.) 
verboten, sondern erlaubt. Bevorrechtung, Privilegierung in diesem Sinne 
ist nun vor allem darin zu erblicken, daß der Staat die als „Ordnen 
und Verwalten“ bezeichnete Tätigkeit über die Sphäre des Privatrechts 
hinaus in die des öffentlichen Rechts erhebt, den in Ausübung dieser 
Tätigkeit ergehenden Willensakten öffentlichrechtliche Wirksamkeit beige- 
legt. Dies ist in weitem Umfange zugunsten der Landeskirchen, ver- 
einzelt auch im Interesse anderer Religionsgesellschaften geschehen. 
Hauptbeispiele sind das den Landeskirchen verliehene Besteuerungs- 
recht und ihre Disziplinargewalt. Man vergleiche wegen des Be- 
steuerungsrechts die beiden Gesetze vom 14. Juli 1905, GS 277, 281 (evan- 
gelische Landeskirche der älteren Provinzen und katholische Kirche), die Ge- 
setze vom 22. März 1906, GS 41, 46 (evangelische Landeskirchen der neuen 
Provinzen, vom 29. Mai 1903, GS 182, und vom 21. März 1906, 
GS# 105 (Diözesen der katholischen Kirche), — wegen der Disziplinar- 
gewalt das Gesetz über die kirchliche Disziplinargewalt vom 12. Mai 1873, 
GS 198. In dem einen wie in dem andern Falle erscheint das 
Wollen und Handeln der kirchlichen Organe durch Staatsgesetz ins 
öffentlichrechtliche gesteigert: die Veranlagung zur Kirchensteuer, die 
kirchliche Disziplinarentscheidung sind Akte iuris publici, deren öffentlich- 
rechtliche Natur darin zutage tritt, daß der Staat sich zu ihrer Voll- 
streckung allgemein bereit erklärt hat und zu diesem Zwecke die Exe- 
kutivgewalt seiner Verwaltungsbehörden der Kirche zur Verfügung stellt. 
— natürlich unter Vorbehalt der jedesmaligen Prüfung der Gesetz- 
mäßigkeit des zu vollstreckenden Akts (uogl. die angeführten Gesetze vom 
14. Juli 1905, Art. I, II, IV bzw. s#1 Abs. 3, 20—29, vom 22. März 
1906, Art. I, II, IV. und vom 12. Mai 1873, 9). In diesen wie
	        
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