Full text: Die Verfassungsurkunde für den Preußischen Staat. Erster Band: Einleitung. Die Titel. Vom Staatsgebiete und Von den Rechten der Preußen. (1)

340 Artikel 15 als Garantie. 
die vorübergehende Einstellung sämtlicher Staatsleistungen für die 
katholische Kirche verhängende „Sperr“-Gesetz vom 22. April 1875 
(GS 194). 
Die Ansichten darüber, ob die Sperre im Verwaltungswege ohne 
gesetzliche Grundlage oder nur im Wege der Gesetzgebung bzw. auf 
Grund besonderer gesetzlicher Ermächtigung verhängt werden dürfe, 
haben zeitweise geschwankt. Im Jahre 1872 sperrte die Staats- 
regierung dem Bischof von Ermeland sein Gehalt, ohne sich hierbei 
auf ein besonderes Gesetz berufen zu können (val. Friedberg, Kirchen- 
recht 559 N. 16; die Moßregel wurde von den Gerichten nicht be- 
anstandet), während sie späterhin, in den vorhin angegebenen Fällen 
der Jahre 1873—76 eine ausdrückliche gesetzliche Ermächtigung durch- 
weg für erforderlich erachtet hat. Die letztere Ansicht ist die richtige. 
Denn ein allgemeines Gesetz, welches die Regierung unter gewissen 
Voraussetzungen zur Einbehaltung der Kirchendotationen berechtigt, 
besteht nicht; die Temporaliensperre ist kein ständiges, dauernd ge- 
regeltes Institut des preußischen Rechts. Andererseits ist die Regierung 
ohne gesetzliche Grundlage ebensowenig befugt, Verpflichtungen des 
Staates oder Dritter zu beseitigen wie sie ohne solche Grundlage in 
subjektive Rechte eingreifen darf und stehen in dieser Hinsicht die 
Verbindlichkeiten des Staates, auf deren Erfüllung niemand einen 
Rechtsanspruch hat, denen gleich, bei welchem ein Rechtsanspruch des 
Destinatärs (ob dieser Anspruch privat= oder öffentlichrechtlichen Charakter 
hat, ist für die hier erörterte Frage gleichfalls unerheblich; A#R Kahl, 
Kirchenrecht 377) besteht. 
Wie bei Sekularisationen (s. oben S. 339), so genügt auch zur 
Verhängung der Temporaliensperre ein ein faches Gesetz. 
Artikel 16. 
Der Derkehr der Religionsgesellschaften mit ihren Gberen ist unge- 
hindert. Die Bekanntmachung kirchlicher Anordnungen ist nur denjenigen 
Beschränkungen unterworfen, welchen alle übrigen Deröffentlichungen unter- 
liegen. 
— Der Artikel ist durch das oben S. 282 wiedergegebene Gesetz 
vom 18. Juni 1875 aufgehoben. — 
1. Entstehungsgeschichte und Aufhebung des Art. 16. — Reg Vorll 
§ 11 lautete wie der in Kraft getretene Text des Artikels, nur sagte 
er an Stelle des „ist ungehindert“ im ersten Satze: „bleibt ungehin-
	        
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