Die Provinzialstände. 19
fünf Provinzen vom 27. März 1824, GS 62, 70, 101, 108, 141).
Die Formation der Stände — Provinziallandtage — ist durch diese
8 Gesetze in den Einzelheiten vielfach verschieden, im Prinzip aber
gleichmäßig geordnet. Sie beruht überall auf der alten Gliederung
der Gesellschaft in Adel, Bürger, Bauern; diese drei historischen Ge-
sellschaftsklassen erscheinen auf dem Landtage (unter verschiedenen Be-
nennungen; meist: Ritterschaft, Städte, bäuerliche Grundbesitzer) durch
Abgeordnete, welche sie aus ihrer Mitte auf 6 Jahre wählen. Den
gewählten Abgeordneten treten dann in allen Provinzen außer
Preußen noch Virilstimmen des hohen und ihm gleichgestellten Adels,
sowie die evangelischen Domkapitel hinzu und zwar entweder (Gesetze
von 1824) als ein besonderer „Erster Stand“, so daß dann Ritterschaft,
Städte und Bauem als 2., 3. und 4. Stand figurieren, — oder als
eine Gruppe innerhalb der den ersten Stand bildenden Ritterschaft
(Gesetze von 1823). Virilstimmeninhaber und Ritterschaft, also die
Mitglieder der Grundaristokratie, dominierten überall. Auf den meisten
Landtagen besaßen sie die Hälfte aller Stimmen, die Städte dagegen
ein Drittel, die Bauern gar nur ein Sechstel; nur in den beiden
Wesiprovinzen hatte man sich gezwungen gesehen, den beiden unteren
Ständen eine etwas stärkere Vertretung einzuräumen.
Diese Provinziallandtage sollten nach der Absicht der romantisch-
partikularistischen Richtung, unter deren Einfluß die Gesetze von 1823
und 1824 zustande gekommen waren, eine Wiederherstellung des alt-
historischen Ständewesens bedeuten. Indessen zeigt schon ein flüchtiger
Blick, wie wenig diese Absicht erreicht wurde. Die landschaftliche
Grundlage der Stände bildeten nicht die alten Territorien in ihrer
geschichtlichen Begrenzung, sondern (mit einigen Ausnahmen) die
neuen, 1815 geschaffenen obersten Verwaltungsbezirke des Staates,
die Provinzen. In ihrer Formation unterschieden sich die neuen von
den alten Ständeversammlungen durch die — freilich sehr schwache —
Vertretung der Bauern, welche die alte Zeit nicht gekannt hatte und
durch die Zulassung auch nichtadliger Rittergutsbesitzer zum Stande
der Ritterschaft, der also materiell nicht eine Vertretung des
Adels, sondern des gualifizierten Großgrundbesitzes war. Endlich
wich auch die Zuständigkeit der Provinziallandtage von dem „Geist
der älteren deutschen Verfassung“ weit ab, sofern ihnen das Grund-
recht der alten Stände, das Steuerbewilligungsrecht, versagt war.
In Wahrheit hatte man nicht das alte Ständetum restauriert, sondern
provinzielle Interessenvertretungen geschaffen, und zwar Interessen-
vertretungen von einer Einseitigkeit und Ungerechtigkeit der Formation,
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