Artilel 22. Das statt des Artikels geltende Recht. 393
der Volksbildung nicht erreicht hat.“ Wenn es dann aber weiter heiße, daß
keine andere Beschränkung eintreten solle als die eben genannte, so
sei das bedenklich und für die Unterrichtsverwaltung nicht annehmbar.
Es werde damit „eine schwankende und rücksichtslose Privatindustrie in
bezug auf die Lehrer“ (gemeint ist: das Unterrichtgeben) begünstigt.
Auf den Befähigungsnachweis könne grundsätzlich auch nicht bei solchen
verzichtet werden, welche im Hause Unterricht erteilen. Der häusliche
Unterricht könne nicht ausgenommen werden von dem Grundsatz, „daß
niemand im Staate aus dem Lehren ein Gewerbe machen dürfe,
der sich über die Fähigkeit zu diesem Gewerbe nicht ausweist“"“. Der
Gedanke, daß die durch Art. 22 vorgezeichnete Beschränkung der Unter-
richtsfreiheit sich auf den „häuslichen“ (also nicht in einer Anstalt oder
im Hause des Lehrers, sondern im Hause des Schülers bzw. der Eltern
desselben erteilten) Unterricht mitbeziehe, dies jedoch nur dann, wenn
der Lehrer aus seiner Tätigkeit „ein Gewerbe macht“, wird in der
Rede des Ministers noch zweimal wiederholt. Daraufhin lehnte die
I. Kammer den „Zusatz“ ab (a. a. O. 1048). In zweiter Lesung (a. a. O.
1240) wurde debattelos beschlossen, hinter den Worten „Unterrichts-
anstalten zu gründen“ noch einzuschalten „und zu leiten“, womit (vgl.
Bemerkung des Abgeordneten Baumstark, I. K. 1074) jeder Zweifel
darüber beseitigt werden sollte, daß der Befähigungsnachweis nicht von
demjenigen zu fordern ist, welcher die Anstalt lediglich „gründet“ (d. h.
stiftet), sondern von dem, der sie „leitet“ (d. h. betreibt).
Mit der hiermit hergestellten Fassung des Artikels, also der Ab-
lehnung des den häuslichen Unterricht betreffenden Zusatzes und der
Einfügung der Worte „und zu leiten“, erklärte auch die II. K. sich
einverstanden (II. K. 1196, 1228, 1229).
2. Die Suspension des Art. 22 und das geltende Recht. — Die ge-
setzliche Regelung des Privatunterrichtswesens steht, nachdem die in dieser
Richtung unternommenen Versuche (bemerkenswert insbesondere die ein-
schlägigen Bestimmungen des von dem Unterrichtsminister Grafen Zedlitz
1892 dem Landtage vorgelegten Volksschulgesetzentwurfs; vgl. v. Bremen
a. a. O. 28 ff.) sämtlich gescheitert sind, zurzeit noch aus, und gehört
daher Art. 22 zu den „suspendierten“ Verfassungsvorschriften, an deren
Stelle das ältere Recht vorerst weitergilt (vgl. die allgemeinen Be-
merkungen oben S. 368 und unten, bei Art. 26, S. 188, 192 ff.).
Dieses ältere Recht weicht von der durch Art. 22 verheißenen und
in ihren Grundlinien vorgezeichneten Ordnung des Privatunterrichts-
wesens (vgl. unten S. 398, 399) erheblich ab. Es ist kein gemeines, ein-
heitliches Recht für den ganzen Staat, wohl aber allerdings im wesent-