Full text: Die Verfassungsurkunde für den Preußischen Staat. Erster Band: Einleitung. Die Titel. Vom Staatsgebiete und Von den Rechten der Preußen. (1)

Artikel 22. Das Privatunterrichtswesen und die Gewerbeordnung. 397 
Die Reichsgewerbeordnung läßt (GewO 3# 6) die landesrechtlichen 
Vorschriften über das Unterrichtswesen unberührt. Wenn sie gleichwohl in 
ihrem #35 Bestimmungen trifft über „die Erteilung von Tanz-, Turn= und 
Schwimmunterricht als Gewerbe“, wonach diese Beschäftigung zwar frei 
begonnen werden kann, aber anzeigepflichtig (§ 35 Abs. 6) ist und untersagt 
werden soll, wenn Tatsachen vorliegen, welche die Unzuverlässigkeit des 
Gewerbetreibenden in bezug auf diesen Gewerbebetrieb dartun (das. Abs. 1) 
— so ist hierin keine Ausnahme von der Regel des §6 GewO zu er- 
blicken, vielmehr — nach der richtigen, wiewohl nicht unbestrittenen Ansicht 
(v. Landmann, Komm. z. GewO 1 77) — anzunehmen, daß die Gew#O 
die Unterweisung in den genannten körperlichen Ubungen (und auch in 
andern: Reiten, Fechten, Radfahren) überhaupt nicht zum „Unterrichs- 
wesen“ im Sinne des #5 6 rechnet, mithin nicht bloß in ihrem § 35, 
sondern allgemein darauf angewendet werden will. Daraus folgt aber 
weiter, daß die gewerbsmäßige Erteilung von Turnunterricht an Personen 
jedes Alters ausschließlich den Vorschriften der GewO unterliegt und 
die partikulare Unterrichtsgesetzgebung insoweit ausgeschaltet ist. Wer 
ein Gewerbe daraus macht, jugendliche Personen, insbesondere schul- 
pflichtige Kinder im Turnen zu unterrichten, ist also nicht nach Maß- 
gabe der KO von 1834 bzw der Ministerialinstruktion von 1839, sondern 
lediglich nach § 35 GewO zu behandeln. Er bedarf zum Beginn seiner 
Tätigkeit keiner Erlaubnis, die Fortsetzung kann ihm nur beim Vorhanden- 
sein der Voraussetzungen des § 35 Abs. 1 durch Entscheidung des Kreis- 
bzw. Bezirksausschusses auf Klage der Ortspolizeibehörde: 36 5 119 
Nr. 1 untersagt werden. Betreibt er aber den Unterricht nicht „ge- 
werbsmäßig“", so findet weder GO § 35 noch die KO von 1834 bzw. 
die Instruktion von 1839 Anwendung, denn diese Normen handeln ja, 
wie sie selbst wiederholt hervorheben, nur von solchen Personen, welche 
aus dem Privatunterricht „ein Gewerbe machen“. 
Ein Grund, dem Begriffe „Gewerbe“ nach der KO von 1834 eine 
andere und weitere Bedeutung beizulegen als nach der GewO, liegt nicht 
vor (a. M. OVG 52 218 und v. Bremen a. a. O. 725 N. 2). Insonder- 
heit wird man nicht mit dem O a. a. O. sagen dürfen, daß unter 
dem Gewerbebegriff der GewO nur solche Tätigkeiten fallen, deren nächster 
Zweck auf Gelderwerb gerichtet ist, während „Gewerbe“ im Sinne der 
KO von 1834 auch eine unentgeltlich betriebene Beschäftigung sein 
könne. Ob in dem vom O a. a. O. beurteilten Falle (Mitglieder 
eines Arbeiter-Turnvereins geben in der dem Verein angegliederten, 
aus Schulkindern bestehenden Jugendabteilung Turnunterricht) Gewerbs- 
mäßigkeit vorlag oder nicht, soll hier nicht entschieden werden. Wenn
	        
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