Full text: Die Verfassungsurkunde für den Preußischen Staat. Erster Band: Einleitung. Die Titel. Vom Staatsgebiete und Von den Rechten der Preußen. (1)

404 Artikel 23. Entstehungsgeschichte. Berhandlungen der Revisionskammern. 
welcher der Kirche die „Mitaufsicht“ über die Schulen und ein Mit- 
wirkungsrecht bei der Lehrerernennung einräumen wollte, ferner die 
in der II. K. (II. K. 1250ff.) gestellten ähnlichen Anträge der Ab- 
geordneten v. Kleist-Retzow und Reichensperger. In der I. K. hatten 
diese Anträge, deren Urheber erklärlicherweise fast durchweg der an 
Zahl damals noch kleinen katholischen Partei angehörten, gar keinen, 
in der II. K. einen, allerdings nur vorllbergehenden, parlamentarischen 
Erfolg, indem sie dort — durch die Unterstützung der äußersten 
Rechten (v. Kleist-Retzov — zu dem Beschlusse führten, hinter 
Art. 24 Abs. 1 den Satz einzufügen: „die Religionsgesellschaften 
nehmen mit Rücksicht darauf (d. h. auf die durch Art. 24 Abs. 1 
gebotenen Berücksichtigung der konfessionellen Verhältnisse) an der 
örtlichen Leitung der Volksschule teil“ (s. hierÜüber unten bei Art. 24 
S. 437, 438). Dieses Amendement wurde aber von der I. K. als „nicht 
in das System (nämlich der rein staatlichen Schulaufsicht) passend“ 
abgelehnt und von der II. K. wieder fallen gelassen; man einigte sich 
dahin, den Religionsgesellschaften lediglich die „Leitung des Religions- 
unterrichts" (Art. 24 Abs. 2) zuzuerkennen, womit (s. unten S. 451, 452) 
eine Beeinträchtigung der Staatsaufsicht über die Schule nicht beab- 
sichtigt war (II. K. 1206 ff., 1227 ff., 1232ff.; I. K. 1074 f.). 
Im Vergleich mit den Anhängern einer mehr oder minder ver- 
hüllten Verkirchlichung der Volksschule treten diejenigen, welche die 
Gemeinde zum Teilhaber der Schulaussicht bzw., was dasselbe besagt (s. 
unten S. 411 ff., 415), der Verwaltung der „inneren Schulangelegenheiten“ 
machen wollten, bei den Revisionsverhandlungen sehr in den Hinter- 
grund (richtig: Preuß, Städtisches Amtsrecht 243, 244). Ein Versuch, 
die „Kommunalisierung“ der Schule in diesem Sinne (wohl zu unter- 
scheiden von der Ubertragung der Schullast und der „äußeren“ Schul- 
verwaltung auf die Gemeinde, Art. 25 Abs. 1, 24 Abs. 3) durchzusetzen, 
mißlang: der Antrag Kellner (II. K. 1203), welcher den Gemeinden 
eine „geeignete Mitwirkung“ auch bei den „inneren Angelegenheiten“ 
sichern wollte, wurde abgelehnt. — 
Uberblickt man das Gesamtbild der Revisionsverhandlungen über 
Art. 23 und 24, so gewinnt man den Eindruck, daß der Gedanke der 
staatlichen Schulaufsicht und damit der ausschließlichen Herrschaft des 
Staates über die Schule damals einen vollen und unbestrittenen Sieg 
errang. Der von dem Unterrichtsminister v. Ladenberg in mehreren 
Reden (I. K. 1054 ff., 1074, 1960, 1962; II. K. 1206 ff., 1232ff.) vor beiden. 
Kammern mit größtem Nachdruck verfochtenen Satz, der Staat könne 
die Aufsicht über die Schule an niemand überlassen, noch sie mit irgend
	        
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