Full text: Die Verfassungsurkunde für den Preußischen Staat. Erster Band: Einleitung. Die Titel. Vom Staatsgebiete und Von den Rechten der Preußen. (1)

452 Artikel 24 Absatz 2. Kirchliche Leitung und staatliche Aufficht. 
nur vorhanden sein, wenn die staatliche Aufsicht und die kirchliche Leitung 
gleichgeordnete Gewalten wären. Das ist aber nicht der Fall. Die 
„Leitung“ ist der „Aufsicht" untergeordnet. Die Koordination von 
Kirche und Staat (oben bei Art. 15 S. 294, 297, 298) ist dem preußischen 
Staatsrecht auch in diesem Punkte fremd. 
Die verfassunggebenden Faktoren wollten vor allem eines nicht: 
die Zerreißung der Volksschule in zwei Sphären, die des welltlichen 
Unterrichts, wo der Staat, und die des religiösen, wo die Kirche herrscht. 
In diesem Sinne ist die „Einheit der Schule und die Einheit der 
Leitung der Schule“ bei den Beratungen über Abs. 2 wieder und 
wieder betont worden. Diese Einheit galt der Regierung wie den 
Kammern für unantastbar. Das wird bei der künftigen legislativen 
Ausführung des Abs. 2 wohl zu beachten sein. Der Gesetzgeber ist, 
solange die Richtschnur des Abs. 2 besteht, nicht berechtigt, den Re- 
ligionsunterricht von der staatlichen Schulaufsicht auszunehmen. Die 
Verfassung gestattet keine Kirchenschule innerhalb der Staatsschule, keine 
kirchliche Immunität, in deren Gebiet der Arm des Staates nicht 
reicht. Die Kirche kann niemals mit Bezug auf Abs. 2 behaupten, 
daß der Religionsunterricht den Staat nichts angehe (s. die Bemerkung 
Kellers, oben S. 436). Unstatthaft, weil mit Abs. 2 unverträglich, wäre 
z. B. eine Regelung, welche in Sachen des Religionsunterrichts die 
Lehrer den kirchlichen Organen als solchen (abgesehen von deren zu- 
fälliger Eigenschaft als staatliche Schulinspektoren) dienstlich unterstellt, oder 
welche über Fähigkeit und Zulassung des Lehrers zur Erteilung religiösen 
Unterrichts die kirchlichen Behörden einseitig entscheiden läßt (so das badische 
und österreichische Recht, s. oben S. 449, 450; vgl. Hinschius, Kirchen- 
recht 4 621, 622). Zulässig dagegen, ja durch den Sinn des Abs. 2 gefordert 
und daher durch das künftige Ausführungsgesetz zu gewähren sind die 
Einflußrechte, welche der Kirche schon jetzt im Verwaltungswege durch 
den mehrfach (oben S. 447, 451) erwähnten Falkschen Erlaß vom 
18. Februar 1876, insbesondere Nr. 3—9, eingeräumt sind. Darüber 
hinaus dachte man bei der Beratung des Abs. 2 (vgl. die „Erläute- 
rungen", oben S. 433) daran, der Kirche die Organisation des 
religiösen Unterrichts zu übertragen. Dementsprechend wären die kirch- 
lichen Behörden namentlich bei der Aufstellung der Lehrpläne, dem 
Erlaß der Bestimmungen über Lehrmethode und Stundenzahl, der Aus- 
wahl der Lehrbücher zu beteiligen. Nur darf diese Beteiligung wiederum 
nicht so weit gehen, daß der Wille der Kirche dem des Staates gegen- 
über, insbesondere im Streitfalle, maßgebend wird. Die Entscheidung 
von Konflikten zwischen Lehramt und „Leitung“, „Leitung“ und Staats-
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.