Full text: Die Verfassungsurkunde für den Preußischen Staat. Erster Band: Einleitung. Die Titel. Vom Staatsgebiete und Von den Rechten der Preußen. (1)

30 Der Übergang zum Konstitutionalismus. 
deutschen Frage auf die deutschen Mittel- und Kleinstaaten, vor allem 
aber auf die öffentliche Meinung, auf das immer höher flutende Ein- 
heitsverlangen des Volkes zu stützen. „Daß man in dem Geiste der 
Nation den mächtigsten Verbündeten aufzusuchen habe, dieses wurde 
im Schlosse von Berlin immer deutlicher erkannt“ (v. Radowitz, 
Sämmtl. Werke 3 292). Dieser Systemwechsel wurde schon zu Anfang 
des Jahres 1848 besonders nachdrücklich von dem damaligen preußischen 
Bundestagsgesandten Grafen Dönhoff empfohlen, und seine Träger im 
Rate der Krone waren der Minister des Auswärtigen Frhr. v. Canitz, 
vornehmlich aber der des Innern, v. Bodelschwingh, der in dieser Zeit 
tatsächlich die Stellung eines leitenden Ministerpräsidenten innehatte. 
Es gelang Bodelschwingh und Canitz, den König zu überzeugen, daß 
Preußen, wenn es mit den genannten Faktoren in der deutschen Ein- 
heitsfrage zusammenwirken wolle, notwendigerweise den Konstitutionalis- 
mus annehmen müsse, und zwar nicht nur deshalb, weil — so gingen 
ihre Gedanken — in den Mittelstaaten, namentlich in den süddeutschen, 
das konstitutionelle System zur Herrschaft gelangt war, sondern vor 
allem, weil die überwiegende Meinung des Volkes die Einheit Deutsch- 
lands nicht ohne die Freiheit des Ganzen wie seiner Gliederungen 
wollte und nur einem freiheitlich verfaßten Preußen als Führer zur 
Einheit willig folgen würde. Das hat damals namentlich der Minister 
v. Bodelschwingh (der innerlich schon längst, nachweislich seit 1817, dem 
konstitutionellen Staatsgedanken anhing) klar eingesehen und dem Könige 
gegenüber unablässig betont. „Wir müssen“, so schrieb Bodelschwingh 
im März 1848 an Georg v. Vincke, „große Reformen in unseren Zuständen 
vornehmen (er meint damit die Verfassungsreform), um die Meinung 
Deutschlands zu gewinnen“ (v. Diest, Meine Erlebnisse 48ff.). 
Und in einem anderen, gleichzeitigen Briefe (das. 16) legt er dar, wie 
er den König für den Gedanken, daß „eine Konstitution nicht zu um- 
gehen sei", nunmehr gewonnen habe. Der Tag, an dem dies geschah, 
läßt sich nach den vorhandenen Dokumenten (Rachfahl, Deutschland, 
König Friedrich Wilhelm IV. und die Berliner Märzrevolution 85) sicher 
bestimmen: es war der 8. März 1848. An diesem Tage hat der König 
seinem Minister die Annahme des konstitutionellen Systems zugesagt, 
„um Deutschlands willen“, wie er sich später dem General v. Gerlach 
gegenüber (v. Gerlach, Denkwürdigkeiten 1 134, 151) ganz offen aus- 
sprach. Es ist nicht unberechtigt, diesen Tag als den Geburtstag der 
konstitutionellen Monarchie in Preußen zu bezeichnen (Rachfahl), denn 
von da ab stand die Abkehr vom Absolutismus im Entschluß des Königs 
und seiner Ratgeber endgültig fest.
	        
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