Full text: Die Verfassungsurkunde für den Preußischen Staat. Erster Band: Einleitung. Die Titel. Vom Staatsgebiete und Von den Rechten der Preußen. (1)

490 Artikel 26 und 112. Das Gesetz vom 10. Juli 1906. 
Die lex Schiffer bedeutet und bewirkt die Vereinigung des Art. 112 
mit dem Art. 26 unter sachlich unerheblicher Anderung der Fassung 
beider Artikel. 
Veranlaßt wurde die lex Schiffer in erster Linie durch den Wunsch, 
eine alte Streitfrage zu beseitigen: die nämlich, „ob in dem Satze (dem 
früheren Wortlaut des Art. 26) ein Gesetz regelt das ganze Unterrichts- 
wesen“ das Wort ein zu betonen ist, ob also anzunehmen ist, daß nach 
der Verfassung nur ein einheitliches, allumfassendes, abschließendes Ge- 
setz über Schule und Unterricht ergehen könne, oder ob die Verfassung 
nichts anderes sagen will alls .. daß überhaupt eine gesetzliche Regelung 
dieses Gebietes zu erfolgen hat“ (Abg. Schiffer a. a. O. 4131). Nach 
der ersten Alternative wäre die stück- und schrittweise Regelung der 
Materie durch Einzelgesetze verboten, nach der zweiten erlaubt. Folgt 
man der ersten, so müßte jedes Einzelgesetz schulrechtlichen Inhalts, da 
es als solches ein Abweichen von dem durch die Verfassung vorgezeichneten 
Wege bedeutet, in den Formen der Verfassungsänderung (Art. 107) er- 
lassen werden, während nach der zweiten Ansicht solche Einzelgesetze 
(vorausgesetzt, daß sie materiell nicht von den im Art. 20—25 enthaltenen 
Grundsätzen abweichen) als einfache Gesetze ergehen können. Die erste 
Ansicht ist in der Staatspraxis gelegentlich von einer Minderheit des 
Hd Abg (vol. die Angaben in dem zitierten Komm Ber über das Vll. 
486) vertreten worden, während die Mehrheit beider Häuser und die 
Staatsregierung den Erlaß von Spezialgesetzen durch Art. 26 nicht für 
ausgeschlossen hielten und danach verfuhren: die zahlreichen Spezial- 
gesetze, welche in den 70er, 80er, 90er Jahren zur Ausführung von 
Art. 21—25 ergingen (so das Schulaufsichtsgesetz vom 11. März 1872, 
die Gesetze über Erleichterung der Schullasten von 1888 und 1889, die 
Besoldung und Pensionierung der Lehrer, das Ruhegehaltskassengesetz 
von 1893, vgl. oben 474, 479, 480), sind sämtlich nicht als Verfassungs- 
änderungen behandelt worden — mit Ausnahme eines einzigen: des 
Gesetzes betreffend die Anstellung und das Dienstverhältnis der Lehrer 
und Lehrerinnen in den öffentlichen Volksschulen im Gebiete der Pro- 
vinzen Posen und Westpreußen vom 15. Juli 1886 (s. oben 464), welches 
— gegen den Widerspruch der Staatsregierung — in beiden Häusern des 
Landtags der durch Art. 107 vorgeschriebenen zweimaligen Abstimmung 
unterzogen wurde. Das Gesetz vom 10. Juni 1906 formuliert den 
bisherigen Art. 26 — jetzt Art. 26 Satz 1 — nunmehr unzweideutig 
so, wie er von der Staateregierung immer, vom Landtage gleich- 
falls stets mit Ausnahme des angeführten Falles, des Gesetzes vom 
15. Juli 1886, verstanden worden ist. Eine usuelle Interpretation ist
	        
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