Full text: Die Verfassungsurkunde für den Preußischen Staat. Erster Band: Einleitung. Die Titel. Vom Staatsgebiete und Von den Rechten der Preußen. (1)

508 Artikel 27. Meinungsäußerungs- und Bersammlungsfreiheit. 
2. allgemein, sofern die betreffende Meinungsäußerung Störungen 
der öffentlichen Sicherheit und Ordnung herbeiführt oder eine solche 
Störung von ihr zu besorgen ist; also auf Grund und im Rahmen 
des & 10 II 17 A#LR durch polizeiliche Verfügungen und Verordnungen. 
So würde eine polizeiliche Verfügung, welche das Halten eines Vortrags 
oder die Veranstaltung bildlicher Darstellungen wegen Gefährdung der 
Sicherheit oder Ordnung im voraus verbietet (Beispiel: OVG 54 248ff.), 
dem Art. 27 nicht zuwiderlaufen, wie auch solche Polizeiverbote selbst- 
verständlich zulässig sind gegenüber Außerungen, Aufführungen, Demonstra- 
tionen, welche nicht unter Art. 27 fallen (oben 501 ff.). Der Artikel steht 
ferner nicht entgegen polizeilichen Verordnungen, welche das Entfalten 
roter Fahnen auf der Straße verbieten (KG# vom 26. März 1896, Kus 
18 273; vom 21. März 1910, DJZ 15 488), welche das Tragen von 
Fahnen, Kokarden, Bändern und andern Abzeichen in andern als den 
Reichs- oder Landesfarben untersagen bzw. unter Erlaubnisvorbehalt 
stellen (KG, KGJ 18 344, 27 Cl4, 31 C 31, DJZ 3 146, 15 769), 
welche (im Interesse der öffentlichen und insbesondere der kirchlichen 
Ordnung) das Halten von Begräbnisreden auf Friedhöfen durch andere 
als die Geistlichen der Landeskirchen von der Genehmigung der Orts- 
polizeibehörde oder des Pfarrers abhängig machen (KG, DJZ 4 422). 
Eine erhebliche Einschränkung erleiden die vorstehend gekenn- 
zeichneten Machtbefugnisse der Polizei in dem Falle, wenn die Reden, 
Demonstrationen usw. als Betätigung nicht sowohl der Meinungs- 
äußerungs- als der Versammlungsfreiheit erscheinen. 
Versammlungen sind (s. unten bei Art. 29, 30 S. 526) Zusammen- 
künfte mehrerer Personen zum Zwecke gemeinsamer Erörterungen oder 
Kundgebungen. Weil und soweit die durch Art. 29, jetzt durch das RVG, 
anerkannte Versammlungsfreiheit das Recht nicht nur auf Anwesenheit, 
sondern auch auf Tätigkeit in der Versammlung, auf Beteiligung an den 
dort stattfindenden Erörterungen und Kundgebungen umfaßt, ist in der 
Versammlungsfreiheit auch die Redefreiheit, überhaupt die Freiheit der 
Gedankenäußerung durch alle in Betracht kommenden Ausdrucksmittel ent- 
halten und mitgewährleistet (vgl. hierzu und zu dem folgenden Wolzendorff 
im Varrch 18 272 ff., 416, 163 ff.). Die geltende Ordnung der Versamm- 
lungs- und Vereinsfreiheit, das RV/, findet somit auf alle Meinungsäuße- 
rungen Anwendung, welche einen Teil der in einer Versammlung im Sinne 
des Gesetzes gepflogenen Erörterungen bilden. Solche Meinungsäuße- 
rungen unterliegen einerseits den spezifischen Beschränkungen des RVG 
(z. B. dem Gebot der deutschen Verhandlungssprache, VG FP812), genießen 
aber andererseits auch die besonderen Vergünstigungen, welche dieses
	        
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