Full text: Die Verfassungsurkunde für den Preußischen Staat. Erster Band: Einleitung. Die Titel. Vom Staatsgebiete und Von den Rechten der Preußen. (1)

Artikel 29, 30. Die Versammlungsfreiheit nach dem RVG. 527 
volviert der Begriff nicht, insbesondere nicht eine irgendwie beschaffene 
Organisation. Der Satz des RVG, daß jede öffentliche politische Ver- 
sammlung einen Leiter haben müsse (8 10), ist eine Ordnungsvorschrift, 
kein Begriffsmerkmal. — Ubereinstimmend mit der vorstehend gegebenen 
Begriffsbestimmung Meyer-Anschütz, Staatsrecht 838, die Rechtsprechung 
des K (vgl. insbesondere KGJ 22 C63, 35 C 39, 36 C 54), Wolzendorff 
im Varch 18 273ff., auch Friedenthal, Komm. zum RVG 19 (dem Ka 
zustimmend) und Stier-Somlo a. a. O. 53, während Loening im Hand- 
wörterbuch der Staatswissenschaften 8 165, 166 und das OG 20 437 für 
den Begriff der Versammlung nur einen „Allen (d. h. den Teilnehmern 
der Zusammenkunft) gemeinschaftlichen Zweck“ fordern, mag dieser Zweck 
auch in etwas anderem als in Erörterungen oder Kundgebungen be- 
stehen. 
Versammlungsfreiheit ist die ungehinderte Möglichkeit, Versamm- 
lungen zu veranstalten und sich an solchen zu beteiligen. Das RVG 
bezeichnet sie, § 1 Abs. 1 Satz 2, als ein — subjektives — „Recht". 
Jedenfalls enthält sie ein solches, das nämlich, im Gebrauch jener 
Möglichkeit nur denjenigen Beschränkungen unterworfen zu sein, welche 
das Gesetz vorschreibt oder zuläßt. Dieses Recht ist auf Abwehr staat- 
licher Eingriffe in die persönliche Freiheit, nicht aber auf Anteilnahme 
an der Bildung des Staatswillens gerichtet, es hat also mit den staats- 
bürgerlichen oder politischen Rechten nicht das mindeste zu tun (M 
allein Zorn bei vRZ. 2 275; vgl. dagegen Laband, DJZ 1908 Sp. 5 
und meinen oben, S. 519 zitierten Artikel in der Frankf. Ztg.), gehört 
vielmehr zur Klasse der bürgerlichen Rechte. Hierin wie im übrigen 
teilt die Versammlungsfreiheit vollkommen die rechtliche Natur der 
anderen Grund-= und Freiheitsrechte (vgl. oben 96ff., 500, 503, 504), ins- 
besondere die der Redefreiheit, überhaupt der Freiheit der Meinungs- 
äußerung, mit welcher sie nahe verwandt ist und inhaltlich zum 
Teil sich deckt (sofern die Versammlungsfreiheit nicht sowohl die An- 
wesenheit als die Tätigkeit in der Versammlung zum Gegenstande 
hat; vgl. hierüber oben 503, 508ff.). 
Die spezifisch vereins- und versammlungspolizeilichen Beschrän- 
kungen der Versammlungsfreiheit (über die allgemeinpolizeilichen und 
nichtpolizeilichen vgl. oben 522 — 525), welche das RVG enthält, 
richten sich durchweg nur gegen öffentliche Versammlungen. Nicht- 
öffentliche sind von solchen Beschränkungen frei (vgl. die Begründung 
des Entwurfs des RVG 29 und KommBer 53, auch Loening a. a. O. 
166). Entscheidend für die Offentlichkeit einer Versammlung ist nicht 
der Ort der Tagung (eine an einem öffentlichen Orte stattfindende
	        
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