Artikel 29, 30. Die Versammlungsfreiheit nach dem RVG. 529
und KommBer 43) sind Fragen, die sich auf die Stellung beziehen,
welche die Staatsgewalt (die Gesetzgebung und Verwaltung in Reich
und Einzelstaat) zu einem Vorgang oder einer Erscheinung des Lebens
einnimmt bzw. einnehmen soll. „Erörtern“ heißt eine Meinung
— oder eine Mehrheit von Meinungen (das Für und Wider) — über
die betreffende Frage zum Ausdruck bringen. Die Form, in welcher
dies geschieht, ob durch das regelmäßige Mittel der mündlichen Ver-
handlung, durch Reden, oder durch andere Arten der Meinungsäuße-
rung (vgl. oben 501 f., 507—510), ist gleichgültig, stets jedoch muß
die Erörterung bzw. Kundgebung von der Absicht getragen sein, eine,
wenn auch nur mittelbare und entfernte Einwirkung auf den Staat
und seine Organe ausüben zu wollen, wie dies auch für den Begriff
des politischen Vereins, und zwar ausdrücklich durch das Gesetz, § 3
(s. unten 532) gefordert wird. Es ist m. a. W. bei der Bestimmung
des Begriffs der politischen Versammlung der des politischen Vereins
zu berücksichtigen; beide Begriffe sind nach einheitlichen Grundsätzen
festzustellen (AM van Calker in der Zeitschrift für Politik 3 313 N. 1;
zustimmend Stier-Somlo 112: „Die Erörterung ist eine besondere Art
der Einwirkung"). Rein theoretische Vorträge und Diskussionen, welche
praktisch weder einwirken noch einwirken wollen, stempeln die Zusammen-
kunft, in der sie stattfinden, nicht zu einer politischen Versammlung.
Weitere Beschränkungen der öffentlichen politischen Versammlungen
sind labgesehen von den aus §§ 7, 13, 14 RV folgenden, (. unten
II und III) folgende: jede Versammlung dieser Art muß einen Leiter
haben (§ 10; Ordnungsvorschrift ohne Straf- oder sonstige Sicherungs-
klausel, also lex imperfecta); Verbot der Anwesenheit von Personen
unter 18 Jahren (§ 17) — und von aktiven Militärpersonen (RMil G §49
Abs. 2; bezieht sich auch auf nichtöffentliche politische Versammlungen).
II. Offentliche Versammlungen unter freiem Himmel, denen die
Aufzüge auf öffentlichen Straßen und Plätzen (mit Ausnahme der ge-
wöhnlichen Leichenbegängnisse, der Züge von Hochzeitsgesellschaften, wo
sie hergebracht sind, sowie anderer, von der Landeszentralbehörde fakul-
tativ zu bezeichnender Aufzüge, § 9 Abs. 2) gleichgestellt sind, bedürfen
der Genehmigung der Polizeibehörde (§ 7). Die Genehmigung ist von
dem Veranstalter nachzusuchen und darf nur versagt werden, wenn aus
der Abhaltung der Versammlung oder der Veranstaltung des Aufzugs
Gefahr für die öffentliche Sicherheit zu befürchten ist. — Der Landes-
zentralbehörde bleibt überlassen, das Erfordernis der Genehmigung nach
§ ' durch das der Anzeige oder Bekanntmachung zu ersetzen (59 Abs. 1),
ein Vorbehalt, von dem in Preußen kein Gebrauch gemacht ist.
Auschütz, Preuß. Verfassungs-Urkunde. I. Band. 34