Art. 36. Auslegung. „Bewaffnete Macht“. „Unterdrückung inn. Unruhen“. 565
dem Mehrheits- und dem Minderheitsvotum der RevKomm die Mitte.
Sie folgt dem letzteren, indem sie das durch die Worte „nur ... auf
Requisition der Zivilbehörde“ bezeichnete Prinzip beibehält, anderseits
gibt sie, im Sinne des Mehrheitsvotums, eine weitgehende — nicht nur
auf „Festungen“, wie die I. K. wollte — beschränkte Möglichkeit, im
Wege der einfachen, nicht verfassungändernden Gesetzgebung Ausnahmen
zu statuieren.
2. Auslegung. — Art. 36 ist eine das Verhältnis der bewaffneten
Macht zu den „Zivilbehörden“ betreffende, jedenfalls also dem Militär-
recht angehörige Norm, ein Bestandteil der „preußischen Militärgesetz-
gebung"“ im Sinne des Art. 61 RV, er gilt mithin, zufolge Art. 61,
im ganzen Reich (mit Ausnahme Bayerns, vagl. Vertrag vom 23. No-
vember 1870 Ziff. III & 5 Abs. 3) und kann überall nur durch Reichs-
gesetz, wiewohl (RV Art. 5 Abs. 2) nicht gegen den Widerspruch Preußens
im Bundesrate abgeändert werden (v. Seydel, Komm. zur NV 332,
Anschütz, Enzykl. 632).
„Bewaffnete Macht“ ist das Militär i. w. S. (Heer, Marine,
Landsturm, vgl. BG vom 9. November 1867, 5 2, oben 559), nicht das
den Zivilbehörden unterstellte, mit der Waffe ausgerüstete Beamten-
personal (polizeiliche Exekutivbeamte, Gendarmerie, Grenzaufsichtsbeamte,
Forst- und Jagdbeamte, Gefängnisaufseher).
Die Worte „Unterdrückung innerer Unruhen" bezeichnen den
Gegensatz zu dem eigentlichen Zweck und Beruf der bewaffneten Macht,
der Bekämpfung äußerer Feinde (vgl. Bemerkung des Abg. Bötticher,
I. K. 717). Unter den im Anschluß hieran im Text genannten „Gesetzen“
sind solche zu verstehen, deren Ausführung nicht im eigenen Wirkungs-
kreise des Militärs liegt, z. B. Polizei-, Justiz-, Finanzgesetze. Beides,
die „Unterdrückung innerer Unruhen“ und die „Ausführung der Gesetze“,
zusammengenommen soll also den Gegensatz zu dem eigenen Wirkungs-
kreise der bewaffneten Macht, den Inbegriff derjenigen Angelegenheiten
bezeichnen, welche das Militär nichts angehen. In diesen Angelegen-
heiten soll das Militär zwar „verwendet“ werden dürfen, aber nur „zur
Unterdrückung ..“, Zzur Ausführung ..“, also als Vollstreckungs--
werkzeug und nur wenn es von der zuständigen Zivilbehörde ge-
rufen wird.
„Vom Gesetze bestimmten Fällen und Formen.“ Damit ist die
Regelung der Fälle und Formen, in denen die Regquisition und das
Tätigwerden des Militärs zu erfolgen hat, dem Wege der Gesetzgebung
überwiesen, dem Verordnungswege entzogen (vorbehaltlich, was keiner
Begründung bedarf, des Rechts der höheren Zivil= wie Militärinstanzen,