Full text: Die Verfassungsurkunde für den Preußischen Staat. Erster Band: Einleitung. Die Titel. Vom Staatsgebiete und Von den Rechten der Preußen. (1)

638 Zweiter Anhang. 
Art. 63. Nur in dem Falle, wenn die Aufrechterhaltung der öffentlichen 
Sicherheit, oder die Beseitigung eines ungewöhnlichen Notstandes es dringend 
erfordert, können, insofern die Kammern nicht versammelt sind, unter Verant- 
wortlichkeit des gesamten Staatsministeriums, Verordnungen, die der Ver- 
fassung nicht zuwiderlaufen, mit Gesetzeskraft erlassen werden. Dieselben sind aber 
den Kammern bei ihrem nächsten Zusammentritt zur Genehmigung sofort vor- 
ulegen. 
*r 64. Dem Könige, so wie jeder Kammer, steht das Recht zu, Gesetze 
vorzuschlagen. 
Gesetzesvorschläge, welche durch eine der Kammern oder den König ver- 
worfen worden sind, können in derselben Sitzungsperiode nicht wieder vorge- 
bracht werden. 
Art. 65. Die erste Kammer besteht: 
a) aus den großjährigen Königlichen Prinzen; 
b) aus den Häuptern der ehemals unmittelbaren reichsständischen Häuser in 
Preußen — und aus den Häuptern derjenigen Familien, welchen durch 
Königliche Verordnung das nach der Erstgeburt und Linealfolge zu ver- 
erbende Recht auf Sitz und Stimme in der ersten Kammer beigelegt 
wird. In dieser Verordnung werden zugleich die Bedingungen festgesetzt, 
durch welche dieses Recht an einen bestimmten Grundbesitz geknüpft ist. 
Das Recht kann durch Stellvertretung nicht ausgeübt werden und ruht 
während der Minderjährigkeit oder während eines Dienstverhältnisses zu 
der Regierung eines nichtdeutschen Staats, ferner auch so lange der 
Berechtigte seinen Wohnsitz außerhalb Preußen hat; 
JP) aus solchen Mitgliedern, welche der König auf Lebenszeit ernennt. Ihre 
Zahl darf den zehnten Teil der zu a und b genannten Mitglieder nicht 
übersteigen; 
d) aus neunzig Mitgliedern, welche in Wahlbezirken, die das Gesetz fest- 
stellt, durch die dreißigfache Zahl derjenigen Urwähler (Art. 70), welche 
die höchsten direkten Staatssteuern bezahlen, durch direkte Wahl nach 
Maßgabe des Gesetzes gewählt werden: 
e) aus dreißig, nach Maßgabe des Gesetzes von den Gemeinderäten ge- 
wählten Mitgliedern aus den größeren Städten des Landes. 
Die Gesamtzahl der unter a bis c genannten Mitglieder darf die Zahl der 
unter d und e bezeichneten nicht übersteigen. 
Eine Auflösung der ersten Kammer bezieht sich nur auf die aus Wahl her- 
vorgegangenen Mitglieder. 
Art. 66. Die Bildung der ersten Kammer in der Art. 65 bestimmten Weise 
tritt am 7. August des Jahres 1852 ein. 
Bis zu diesem Zeitpunkte verbleibt es bei dem Wahlgesetze für die erste 
Kammer vom 6. Dezember 1848. 
vert 67. Die Legislatur-Periode der ersten Kammer wird auf sechs Jahre 
festgesetzt. 
Art. 68. Wählbar zum Mitgliede der ersten Kammer ist jeder Preuße, 
der das vierzigste Lebensjahr vollendet, den Vollbesitz der bürgerlichen Rechte 
in Folge rechtskräftigen richterlichen Erkenntnisses nicht verloren und bereits fünf 
Jahre lang dem preußischen Staatsverbande angehört hat. 
Die Mitglieder der ersten Kammer erhalten weder Reisekosten, noch Diäten. 
Art. 69. Die zweite Kammer besteht aus dreihundert und funfzig Mitgliedern. 
Die Wahlbezirke werden durch das Gesetz festgestellt. Sie können aus einem oder 
mehreren Kreisen oder aus einer oder mehreren der größeren Städte bestehen. 
Art. 70. Jeder Preuße, welcher das fünf und zwanzigste Lebensjahr voll- 
endet hat und in der Gemeinde, in welcher er seinen Wohnsitz hat, die Befähigung 
zu den Gemeindewahlen besitzt, ist stimmberechtigter Urwähler.
	        
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