64 Die Formel „von Gottes Gnaden“.
streichen (Verh. der NatVers 3 1 524; s. oben 43). Dieser Beschluß war
keineswegs durch religiöse oder antireligiöse, sondern durch rein politische
Beweggründe veranlaßt (vgl. oben a. a. O.): die Nat Ver hielt das „von
Gottes Gnaden“ für das Symbol des Absolutismus, den Gebrauch dieses
Symbols daher für unverträglich mit dem konstitutionellen System.
Daran war nur das richtig, daß die mit den perhorreszierten Worten
herkömmlich verbundenen politischen Gedanken sich mit dem
Konstitutionalismus nicht vertrugen, wie die Nat Vers ihn verstand,
d. h. mit der durch monarchische Einrichtungen modifizierten Demokratie.
In bewußter Abkehr von diesen Tendenzen der NatVers hat die
oktrVerf das „von Gottes Gnaden“ in den Text des Einganges
wieder aufsgenommen und die Revstammern haben es ohne Be-
anstandung stehen lassen. Im Aichte dieser Entstehungsgeschichte er-
scheint die Beibehaltung der altherkömmlichen Formel „von Gottes
Gnaden“ vor allem als eine Verwahrung des Gesetzgebers gegen den
Grundsatz der Volkssouveränität. In der preußischen wie in jeder
anderen deutschen Landesverfassung soll „von Gottes Gnaden“ heißen:
„nicht von Volkes Gnaden“, — eine vorwiegend negative Bedeutung,
der es indessen an rechtlichem und praktisch-politischem Inhalt keines-
wegs fehlt und deren ergänzendes Seitenstück jene andere Negative
bildet: die Nichtübernahme des Satzes „tous les pouvoirs émanent
de la nation“ aus der sonst vorbildlichen belgischen Verfassung in
die preußische. — Was sonst noch in die Formel hineingelegt wird,
läuft entweder auf Mißverständnisse oder auf Irrtümer hinaus. Zu
den Mißverständnissen gehört es, wenn man in dem „von Gottes
Gnaden“ die Sanktion des Prinzips der Erb-(im Gegensatz zur
Wahl-) Monarchie erblickt, denn daß der König König ist, verdankt er
nicht einer himmlischen, sondern einer irdischen Tatsache: der Ab-
stammung vom ersten Inhaber der Krone. A. M. Hubrich in den
Forschungen zur brandenburg. und preuß. Geschichte 1907, 412ff., 421,
der in der Formel zweierlei finden will: eine Hindeutung auf die Erb-
monarchie und auf die monarchische Unverletzlichkeit (Art. 43). Irrtümlich
ist es ferner, theokratische Vorstellungen irgendwelcher Art mit den
Worten „von Gottes Gnaden“ zu verbinden; die Theokratie ist in
den modernen Staaten nicht Rechtens, auch in Preußen nicht, dessen
größter König sich nicht den Statthalter Gottes, sondern den ersten
Diener des Staates nannte, sein Amt also als oberste Organschaft im
Staat verstand. Die von der Denkweise Friedrichs d. Gr. weit ab-
weichenden mystischen Vorstellungen Friedrich Wilhelms IV. über Krone
und Königtum haben, worauf Hubrich a. a. O. 418ff. hinweist, in der