Die Eingangsformel. 65
Berfassung keinen Ausdruck gefunden und sind für deren Auslegung auch
sonst nicht bindend. Eben deshalb darf aber das „Gottesgnadentum“
auch nicht als authentisches Bekenntnis der Verfassung zu dem Satze auf-
gefaßt werden, daß die Krone auf „eigenem“, d. h. staatsfremdem,
außer und über dem Staate stehendem Recht beruhe (so: Arndt,
Können Rechte der Agnaten auf die Thronfolge durch Staatsgesetz
geändert werden?, S. 38, Kekule v. Stradonitz im Af öff R 14 3).
Vgl. Meyer--Anschütz § 86 Nr. 3 und Zitate. Auch Rehm, der jenen
Satz für richtig hält, gibt — Modernes Fürstenrecht S. 8ff. — zu, daß
derselbe mit dem titulären Gottesgnadentum nicht begründet werden könne.
Durch vorstehende Ausführungen erledigt sich wohl auch die Be-
merkung Zorns — Ttcchiv f. Rechts- u. Wirtschaftsphilosophie, 2 170 —,
daß man eine formellrechtliche Erklärung der Worte „von Gottes Gnaden“
nicht versuchen solle, da der durch sie ausgesprochene Gedanke für die
Jurisprudenz und ihre Mittel zu hochstehe. Das „von Gottes Gnaden“
ist „formellrechtlicher“ Erklärung bedürftig und auch fähig.
IV. Im weiteren nimmt die Eingangsformel Bezug auf die
wesentlichen Vorgänge der Entstehungsgeschichte der Verfassung. Vgl. dar-
über oben in der Einleitung 44 ff. (Erlaß der oktr B), 54 (Anerkenntnis
der Rechtsgültigkeit der oktr B), 54 ff. (Wesen und Verlauf der Revision).
V. „Als Staatsgrundgesetz“. Der Ausdruck besagt hier wie
sonst stets dasselbe wie „Verfassung“ in dem engeren Sinne dieses
Wortes, welcher Verfassung gleichsetzt mit Verfassungsurkunde. Die
grundlegende, fundamentale Bedeutung der Verfassung liegt darin, daß
sie nicht alle, wohl aber die obersten und wichtigsten Normen des preußi-
schen Staatsrechts gesetzgeberisch zur Darstellung bringt und daß ihre
Bestimmungen, bald im gebietenden, bald im verbietenden Sinne
Pflichten der höchsten Staatsorgane, insbesondere der gesetzgebenden
Faktoren, erzeugen, Pflichten, zu denen namentlich gehört, daß, wenn
die gesetzgebenden Faktoren etwas unterlassen wollen, was die Verfassung
vorschreibt oder etwas veranlassen wollen, was die Verfassung verbietet, sie
zuvor oder doch zugleich die betr. Verfassungsbestimmung auf dem
vorgeschriebenen Wege (Art. 107) ändern bzw. aufheben müssen. Diese wie
jede andere verfassungsmäßige Pflicht der gesetzgebenden Faktoren ist
keine bloß politische oder Gewissenspflicht, sondern eine Rechtspflicht,
aber eine solche, deren Erfüllung in bezug auf das ob, wann und wie
die gesetzgebenden Faktoren unter sich auszumachen haben, deren Nicht-
erfüllung folglich bei Einigkeit dieser Faktoren von der richterlichen
oder administrativen Rechtsanwendung nicht gerügt werden kann. Das
„Staatsgrundgesetz“ unterscheidet sich von dem einfachen Geset nur
Anschütz, Preuß. Verfassungs-Urkunde. I. Band.