Full text: Die Verfassungsurkunde für den Preußischen Staat. Erster Band: Einleitung. Die Titel. Vom Staatsgebiete und Von den Rechten der Preußen. (1)

Artikel 2. Inkorporationszwang und Ausnahmen. 79 
Landeszuwachs durch Kauf, Tausch oder auf andere Weise erhalten, 
so wird derselbe in die Gemeinschaft der Verfassung des Staates auf- 
genommen“, so ist dieser Satz, wie mit vRB# 1 197 Nr. 1 und gegen 
Arndt Komm. 58 Nr. 3 zu behaupten ist, nicht ein partikularrechtliches 
Spezifikum, welches nur gilt, weil es positiv geschrieben steht, sondern 
der zutreffende Ausdruck eines allgemeinen staatsrechtlichen Grundsatzes, 
der auch für Preußen voll Anwendung findet. 
10. Dieser Grundsatz — man mag ihn der Kürze halber als In- 
korporationszwang bezeichnen — gilt nur in folgenden Fällen nicht: 
Kaa. bei nur vorübergehenden Besitzergreifungen ohne die Absicht 
dauernder Beibehaltung (die u. a. hierhergehörige Okkupation fremden 
Staatsgebietes zu Pfändungszwecken steht, wie jede andere Art völker- 
rechtlicher Zwangsanwendung, in Deutschland nur mehr dem Reiche, 
nicht aber den Einzelstaaten, also auch Preußen nicht zu); 
b. wenn das in Frage kommende völkerrechtliche Rechtsgeschäft nicht 
auf Vergrößerung des preußischen Staatsgebietes, sondern auf eines der 
oben S.72, 73 bezeichneten Verhältnisse, insbesondere auf Begründung einer 
Personal= oder Realunion gerichtet ist. Angenommen, die Fürsten von 
Hohenzollern-Hechingen und -Sigmaringen hätten in dem Staatsvertrage 
mit Preußen vom 7. Dezember 1849 nicht, wie geschehen, unter Verzicht 
auf die staatliche Individualität ihrer Fürstentimer die Einverleibung 
derselben in Preußen, sondern unter Vorbehalt jener Individualität 
lediglich die reale Unierung mit Preußen bewilligt, so wären Regierung 
und Volksvertretung von Preußen weder verpflichtet noch auch nur 
berechtigt gewesen, Hohenzollern als Gebietszuwachs zu behandeln und 
gemäß Art. 2 zu inkorporieren. Ebenso, wenn die 1866 erworbenen 
Länder, bevor sie erobert und damit ihrer Staatlichkeit beraubt wurden, 
Verträge mit Preußen geschlossen hätten, worin sie, unter Versetzung 
ihrer Dynastien in den Ruhestand, der Realunion mit Preußen zu- 
stimmten. 
. Die Voraussetzung des Art. 2 ist ferner, selbstverständlich, nicht 
gegeben, wenn es sich nicht um Erwerbungen des Staates, sondern des 
Königs als solchen handelt. Was aber der König in seiner Eigen- 
schaft als Organ des Staates, „durch Anwendung der Staatskräfte“ 
(Württemb. VU. § 2), mit dem Gut des Staates und dem Blut der 
Staatsbürger erwirbt, das erwirbt er nicht sich, sondern dem Staate. 
Ubereinstimmend vKI 1 196, 197, Schwartz Note zu Art. 55; a. M. 
(ohne nähere Begründung) allein Arndt, Komm. 58, 59. 
11. In der Literatur sind die vorstehend, Nr. 9 und 10, zur Sprache 
gebrachten Fragen nur selten und nicht erschöpfend untersucht worden.
	        
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