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brauchte. Denn es handelt sich um eine Frage, deren Beant-
wortung ein doppeltes Interesse bietet, ein rechtsdogmatisches
nämlich und ein rechtspolitisches. Trat nun das letztere natur-
gemäss in meinem für ein weiteres Publikum bestimmten Auf-
satze in den Vordergrund, so hat das erstere in einer juristischen
Fachzeitschrift den Vorrang zu behaupten. Die folgenden Aus-
führungen sollen sich daher, ohne die politischen Gesichtspunkte
des Themas ganz ausser acht zu lassen, im wesentlichen auf dog-
matischem Gebiete bewegen.
Der Streit um die Frage, ob innerhalb Preussens die Ver-
handlungen von politischen Versammlungen in deutscher Sprache
stattzufinden haben oder ob den Versammelten freisteht, sich
nach ihrer Wahl auch anderer Idiome zu bedienen, ist während
des letzten Menschenalters mehrfach stossweise an die Oeffent-
lichkeit getreten. Bescheide der Verwaltungsbehörden, parla-
mentarische Interpellationen und deren Beantwortung, Urteile
der Verwaltungsgerichte und neuerdings auch Erörterungen ju-
ristischer Theoretiker haben das Streitobjekt aus der Welt zu
schaffen gesucht. Umsonst! es taucht immer wieder auf und be-
weist grade dadurch, wie wichtig die Frage ist, um die es sich
handelt. Aber es ist auf diese Weise doch allmählich ein ziem-
lich umfassendes Material zusammengetragen worden, die in Be-
tracht kommenden Gesichtspunkte sind im Kampf der Meinun-
gen von der einen und der anderen Seite mit aller wünschens-
werten Deutlichkeit herausgestellt worden, so steht zu hoffen,
dass eine nochmalige, allen verfügbaren Stoff möglichst erschöp-
fend berücksichtigende Erörterung des Problems das ihrige dazu
beitragen wird, um der Rechtsdogmatik eine endgültige Stellung-
nahme zu ermöglichen.
Um die Wende der Jahre 1875 und 1876 ist unsere Frage
zum ersten Male grundsätzlich aufgerollt worden. Am 5. Dezem-
ber 1875 war von einem Pfarrer KIEWERT eine Volksversammlung
polizeilich angemeldet worden, die in dem Dorfe Skurcz, Kreis