_ 12 —
die zur Erreichung des nächsten Heimatshafens oder des näheren
neutralen Bestimmungshafens notwendige Kohlenergänzung im
Falle unvorhergesehener Not nicht unbedingt versagt werden.
Sie ist jedoch zu versagen, wenn das Schiff einen natio-
nalen oder neutralen Bestimmungshafen nicht angeben kann,
oder wenn sonst aus den Umständen erhellt, dass der nächste
Zweck des Schiffes lediglich die Begehung feindlicher Handlungen
ist. Es empfiehlt sich, die Reise nach dem Kriegsschauplatz
und das Operieren auf letzterem derart zu trennen, dass, nach-
dem das Schiff den letzten neutralen Hafen nach den oben be-
sprochenen Grundsätzen angelaufen hat, nunmehr die abstrakte
Regel derart angewendet wird, dass eine einmalige Kohlen-
ergänzung in: dem genannten Umfange unbedingt zulässig ist, und
dass erst von hier an die dreimonatige Frist gerechnet wird,
nach deren Ablauf eine zweite Kohleneinnahme desselben Schiffes
in den Gewässern desselben Staates wie in dem ersten Fall zu-
lässig, vor deren Ablauf aber nur mit Spezialerlaubnis und als
Ausnahme zu gestatten ist. Diese Spezialerlaubnis ist ein Sicher-
heitsventil, ohne das die englische Formel nicht auskommt; es
ist die notwendige Konzession der abstrakten Rechtsregel an die
Rechtsbedeutung der konkreten Tatumstände, deren Würdigung
im heutigen Rechtsleben niemals ausser acht gelassen werden
kann. Hier müssen Takt und Rechtsgefühl entscheiden. Be-
steht Grund zu der Annahme, dass das Kohlen erbittende Schiff
auf die Hilfe des neutralen Hafens spekuliert hat, oder dass sein
wahres nächstes Ziel die Vornahme kriegerischer Handlungen
ist, wozu auch das Fahnden nach Kriegskonterbande gehört, so
wird die Kohleneinnahme zu verweigern sein. Da ein unab-
hängiger Richter zur Entscheidung über die richtige und billige
Anwendung des Neutralitätsrechts grundsätzlich nicht vorhanden
ist, so ist politischen Sympathieen und Antipathieen freilich
weiter Spielraum gelassen, und man hat nicht ganz unrecht,
wenn man sagt: das Seekriegsrecht ist flüssig wie die See.