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welcher rechtlichen Verpflichtung hatte sie sich zu fügen? Eine
Antwort auf diese Frage gibt uns die Begründung SCHOLLEN-
BERGERS nicht. Es ist freilich nicht zu bestreiten, dass der Bund
vom 8.-September 1814, an dem sich Schwyz und Nidwalden
nicht beteiligten, ein Vertrag war. Es wurden aber die beiden
Kantone, welche sich anfangs nicht angeschlossen hatten, durch
diesen Vertrag. in keinerlei Weise rechtlich gebunden, mochte
auch die Tagsatzung den Entwurf als Grundgesetz der ganzen
Eidgenossenschaft verkünden. Schwyz und Nidwalden haben
später um Aufnahme in den. eidgenössischen Bund nachgesucht,
welche natürlich gewährt wurde!. Erst dadurch, dass man ihrem
Aufnahmegesuch stattgab, traten sie in den Bund ein, wurde der
Bundesvertrag auch für sie verbindlich. Es fehlte die Rechts-
ordnung, kraft deren unter den souveränen Kantonen das Majo-
ritätsprinzip gegolten hätte.
Wenn SCHOLLENBERGER die Schaffung des Bundesstaates
für einen Rechtsvorgang erklärt und nach ihm der Staatenbund
der schweizerischen Kantone den Bundesstaat erriehtet hat, so
beruht diese Auffassung auf der irrigen Meinung, als sei es mög-
lich, dass ein völkerrechtliches Vertragsverhältnis zwischen meh-
reren Staaten den Willen der Mehrzahl als den Willen aller
Staaten erscheinen lasse?. Die Ansicht der Tagsatzungsmehrheit,
dass der Verfassungsentwurf für alle Kantone rechtlich verbind-
lich sei, sofern die Mehrheit der Kantone und der votierenden
Schweizer sie annehme, war juristisch unbegründbar.
Die siegreiche Majorität, die herrschende Partei, gab das
Gesetz®. Sie schuf am 12. September 1848 den Bundesstaat,
als dessen erste — vorläufig einzige — über allen Kantonen
! Vgl. BLunsscaLı $. 487.
2 Die Identifizierung‘ des Mehrheitswillens mit dem Gesamtwillen ist
eine Fiktion. Vgl. JELLINER, Das Recht der Minoritäten. Wien 1898. S.1ff.
besonders S.3 Mehrheitsbeschlüsse von Staaten als für andere Staaten ver-
bindlich hinstellen, heisst deren Souveränetät leugnen.
® BLUNTSORLI S. 515.
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