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sind einmal in allgemeinen (iesetzen und insbesondere im Straf-
gesetz enthalten, ausserdem aber in der zur Ausführung von
Art. 30 der Verfassungsurkunde ergangenen Verordnung vom
11. 3. 1850. Nirgends aber findet sich ein preussisches Gesetz,
das der Polizeibehörde das Auflösungsrecht gegenüber einer po-
litischen Versammlung wegen Gebrauchs einer Fremdsprache ein-
räumt. So kann, da die Anwendung der Muttersprache der Be-
teiligten, also der Volkssprache, in Versammlungen dem Wesen
der Sache entspricht und es an einer ausdrücklichen Gesetzes-
norm fehlt, die trotzdem den Alleingebrauch des Deutschen in
politischen Versammlungen vorschreibt, von einer Befugnis des
Staates, eine Versammlung nur wegen Gebrauchs eines nicht-
deutschen Idioms aufzulösen, nach dem dermaligen Stande des
positiven Rechts keine Rede sein?.
Die Regierung hat sich zunächst lange Jahre bei diesem
ihrer Auffassung widersprechenden Erkenntnis der höchsten ge-
richtlichen Instanz in Verwaltungsstreitsachen beruhigt. Insbe-
sondere hat Graf Eulenburg, nachdem das Abgeordnetenhaus
abgelehnt hatte, die Frage der Versammlungssprache im Zu-
sammenhang mit dem -Gesetz über die Geschäftssprache der
preussischen Behörden zu erledigen®, auf die Vorlage eines
besonderen Gesetzentwurfes über die Versammlungssprache ver-
zichtet. Erst im Jahre 1896, als das inzwischen durch rastlose
Agitation gewaltig erstarkte Polentum dem Staate neuerdings
unheimlich zu werden anfıng, wurden seitens des Ministeriums
des Innern wiederum Versuche gemacht, die staatliche Auflösungs-
befugnis auch auf den Fall des Gebrauchs einer Fremdsprache
in politischen Versammlungen anzuwenden. Selbstverständlich
jedoch führte dies Zurückgreifen auf die Eulenburgsche Praxis
sofort wieder zu parlamentarischen Streitreden: am 8. Januar
1897 erhob die Zentrumspartei durch den Abgeordneten Dr.
5 Entsch. d. OVG. I 349 fi.
° Vgl. unten S. 47.