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von der höheren Weisheit der Regierenden gelegentlich einmal
über die gesetzliche Schnur zu hauen. Dies tat der Verfasser
jener Instruktion mit seiner Bestätigungsklausel; und im absoluten
Staat war der Verordnungsgewalt ein solcher Schritt vom Wege
des Gesetzes ja leicht genug gemacht und der Erfolg gesichert.
Dass sich freilich jene gesetzwidrige Verwaltungspraxis bisher
auch im Verfassungsstaat hat behaupten können, ist ein schlim-
mes Zeichen für unser Öffentliches Rechtsbewusstsein. Aber
Unrecht ist dadurch nicht zu Recht geworden; quod ab initio
vitiosum, non potest tractu temporis convalescere!
Die Tatsache, dass man später den Wortlaut des $ 179b
St.O. wenigstens zum Vorwand für die Verdunklung des gesetz-
lichen Rechtszustandes nehmen konnte, legt das Urteil nahe,
dass der Gesetzgeber durch die Annahme der WILCKENSschen
Fassung einen redaktionellen Fehlgriff getan habe. Und sicher-
lich gab der Freysche Entwurf dem Geiste, von dem das ganze
Werk durchdrungen war, auch an dieser Stelle weit klarer und
präziser Ausdruck; vielleicht hätte seine Annahme wieder ein-
mal gezeigt, dass in solcher Lage der rücksichtslos durchgrei-
fende Mut der beste Teil staatsmännischer Voraussicht ist. In-
dessen, so unbegreiflich es gewesen wäre, wenn die Väter der
St.O. bei der Emanzipation städtischer Selbstverwaltung von
staatlicher Bevormundung an diesem Punkte plötzlich sich selbst
untreu geworden und in eine: dilatorische Taktik verfallen wären,
so begreiflich wird diese Taktik, sobald man erkannt hat, dass
es sich dabei durchaus nicht um das Verhältnis zum Staate,
sondern zur Kirche handelte. Damit geriet man von dem eigent-
lichen Boden dieses Gesetzes ab und auf eine Materie, die zwar
vor hundert Jahren nicht annähernd so heillos verfahren war
wie heute; die aber immerhin ‘auch damals ihre grossen spezi-
fischen Schwierigkeiten bot; und über die wohl unter den Re-
formern selbst keine volle Einmütigkeit herrschen mochte. FREYs
Ansicht kennen wir; in ähnlichem Sinn hatte sich bei einer
Archiv für öffentliches Recht. XX. 2. 17