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WILHELM KAUFMAnN: Welt-Zuckerindustrie und internationales und
koloniales Recht. Berlin 1904. FRANZ SIEMENROTH, XVI u. 612 S. 8.
Die Brüsseler Zuckerkonvention vom 5. März 1902, ihre Entwicklungs-
geschichte wie ihre international-wirtschaftliche und international-rechtliche
Bedeutung bilden den Ausgangspunkt, aber nicht den wesentlichsten Inhalt
dieses umfangreichen und gehaltvollen Werkes. Wohl wird das gesamte,
mit jener Konvention unmittelbar zusammenhängende Material nach allen
Seiten hin mit erschöpfender Gründlichkeit behandelt; doch ist diese Be-
arbeitung dem Verfasser nicht Selbstzweck, vielmehr dient sie ihm als Pa-
radigma, um seine markante Stellung zu einem der wichtigsten Grund-
probleme des Völkerrechts, ja der Rechts- und Staatslehre überhaupt zu
deutlicher. Anschauung zu bringen. Die methodische Regel des Fortschrei-
tens vom Besonderen zum Allgemeinen ist hier ganz vortrefflich durchge-
führt; und auch die Auswahl gerade. dieses Paradigmas ist eine ausseror-
dentlich glückliche. Kaum ein anderes Spezialgebiet der wirtschaftspoliti-
schen Gesetzgebung und internationalen Vertragsschliessung bietet eine so
reiche Fülle von Perspektiven auf allgemeine Probleme der nationalen und
internationalen Wirtschaftspolitik und Rechtsbildung wie diese Rechtege-
schichte des Zuckeres.
Schon die Tatsache, dass dem ursprünglich alleinherrschenden kolo-
nialen Rohrzucker in der sich gewaltig entwickelnden kontinenta-
len Rübenzuckerindustrie eine überlegene Konkurrenz erwuchs, führt zu be-
deutungsvollen Ausblicken auf die kolonialrechtliche und die kolonial- und
weltwirtschaftliche Entwicklung, auf die rechtlichen und wirtschaftlichen
Verschiedenheiten. des Verhältnisses von Mutterländern und Kolonien, sowie
ihres Verbandes gegenüber dem Auslande. Welche grossen prinzipiellen
und praktischen Schwierigkeiten diese Fragen ganz allgemein in sich bergen,
das hat sich in dem Zolikonflikt zwischen Deutschland einerseits, England
und Kanada andrerseits gezeigt; wie denn auch ein mit jenen Fragen in-
nigst zusammenhängendes Problem heute im Mittelpunkt des innern poli-
tischen Lebens in England steht, zu dessen Bezeichnung die Nennung des
Namens CHAMBFRLAIN genügt.
Kein instruktiveres Schulbeispiel für alle denkbaren Widersinnigkeiten
der Fiskalpolitik liesse sich ersinnen, als es die Wirklichkeit in der Ge-
schichte der Zuckerbesteuerung und der mit ihr zusammenhängenden fiska-
lischen und wirtschaftspolitischen Massregeln bietet; es ist das Pferd mit
sämtlichen ädilizischen Mängeln. Nichts ist unversucht geblieben, was zwi-
schen den beiden Extremen, der Erdrosselungssteuer und einem den Steuer-
ertrag zugunsten der Exportindustrie ruinierenden Prämiensystem, liegt, in
diesem bellum omnium contra omnes : des schwerfälligen Steuerfiskus gegen
die. leichtfüssige industrielle Technik, des kolonialen Zuckerrobres gegen die
kontinentale Zuckerrübe, der Produktion gegen den Konsum, der nationalen