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betreffenden Staat im allgemeinen Interesse vor den Einverlei-
bungsgelüsten der benachbarten Staaten sicherzustellen. Diese
Sicherung kann aber nur dann als hinreichend angesehen wer-
den, wenn die’ interessierten Staaten sich verpflichten, die Inte-
grität des neutralisierten Staates eventuell mit Waffengewalt zu
verteidigen, weshalb angenommen werden muss, dass auch ohne
besondere Vereinbarung jede Gebietsveränderung, sei es durch
Vergrösserung, sei es durch Verkleinerung, ohne Zustimmung
der garantierenden Mächte ausgeschlossen ist (v. LISZT a. a. 0.
S. 29). Da nun die Neutralität geradezu die raison d’ötre der
genannten Staaten und zugleich einen Bestandteil des objektiven
Völkerrechts (vgl. ULLMANN a. a. O. S. 59) darstellt, so erscheint
es wohl angemessener, ihnen die Rechtsmacht über ihre örtliche
Kompetenz völlig abzusprechen, als eine blosse Verpflichtung
zur Nichtausübung dieser Rechtsmacht anzunehmen. Von sol-
chen Ausnahmserscheinungen abgesehen, gehören aber die sach-
liche und die örtliche Kompetenz-Kompetenz ihrer Natur nach
zusammen. Wie der Staat eines gewissen Minimums an Aus-
dehnung bedarf, um seinem Zwecke als höchste Form des mensch-
lichen Gemeindaseins genügen zu können, so sehen wir auch hi-
storisch sehr häufig die intensivste Staatstätigkeit mit dem Stre-
ben nach grösstmöglicher Extensität durch Eroberung, Koloni-
sierung, Begründung von Abhängigkeitsverhältnissen u. s. w. Hand
in Hand gehen (vgl. hiezu die Bemerkungen von PREUSS a. a. O.
S. 115),
In diesem Zusammenhang sei schliesslich darauf hingewiesen,
dass nach den meisten Verfassungen die Gebietsänderung oder
wenigstens die Gebietsabtretung (etwa mit Ausnahme der Grenz-
regulierungen) nur im Wege der einfachen oder Verfassungs-
gesetzgebung erfolgen kann. Dies ist der einzige Sinn der „Un-
teilbarkeit und Unveräusserlichkeit* des Staatsgebietes.
Unsere Auffassung des Gebietes und der Gebietshoheit be-
währt sich enclich auch an den Kolonien. Wie wir schon be-