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die Wiener Verträge war die Krone nur ganz im allgemeinen
zur Schonung des polnischen Volkstums verpflichtet worden.
Dennoch verhielt sich die neue Regierung zunächst äusserst ent-
gegenkommend. Der König verlieh der neugebildeten Provinz
den Namen des Grossherzogtums Posen, ein besonderes Wappen,
den polnischen weissen Adler im Herzschilde des preussischen
und einen Statthalter aus jagellonischem Blute, den ihm ver-
schwägerten Fürsten Anton Radziwill, dem freilich vorwiegend
repräsentative Funktionen zugewiesen wurden; die eigentliche Ver-
waltung blieb wie in den übrigen Provinzen einem Öberpräsi-
denten vorbehalten. Ein königlicher Zuruf vom 15. Mai 1815?®
erklärte den Einwohnern des Grossherzogtums, sie würden in
die preussische Monarchie einverleibt, ohne doch deshalb ihre
Nationalität verläugnen zu dürfen. Namentlich solle die pol-
nische Sprache in allen öffentlichen Verhandlungen neben der
deutschen gebraucht werden, und jedem polnischen Untertan
Preussens solle nach Massgabe seiner Fähigkeiten der Zutritt
zu den öffentlichen Aemtern des Grossherzogtums, sowie zu allen
Aemtern, Ehren und Würden des Reiches offen stehen. Dem-
entsprechend bestimmte eine Kabinettsordre vom 20. Juni 1816”,
dass die älteren preussischen Gesetze, wie das allgemeine Land-
recht, die allgemeine Gerichtsordnung, die Kriminal-, Deposital-
und Hypothekenordnung zum Gebrauch im Grossherzogtum Posen
ins Polnische übersetzt werden und dass die preussische Gesetz-
sammlung sowie die Amtsblätter der Regierungsdepartements
Posen und Bromberg künftig in einer angemessenen Anzahl von
Exemplaren mit einer polnischen Uebersetzung erscheinen sollten.
Aber es wurde doch gleichzeitig ausgesprochen, dass bei allen
diesen Uebersetzungen der deutsche Text das eigentliche Gesetz
19. Jahrhundert. Leipzig. 1879 ff. Bd. 2 S. 244 ff., Bd. 4 S. 556 fl., Bd. 5
S. 145 ff.
# (Gea.Sammlg. S. 47.
»” Ges, Sammig. S. 204.