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die Ueberzeugungen, wonach sich die Pflichterfüllung richtet,
vornehmlich rechtswissenschaftlicher Natur.
10.
Zum Schlusse vorliegender Ausführungen, die durchaus nicht
den Anspruch auf eine erschöpfende Behandlung der aufgewor-
fenen Fragen erheben, möchte ich noch mit einigen Worten
die Stellung berühren, welche BIERLINGs grossangelegtes Werk,
Juristische Prinzipienlehre, deren III. Band kürzlich erschienen
ist?!, zu dem erörterten Thema einnimmt.
BIERLING erachtet es nicht als Aufgabe der juristischen
Prinzipienlehre, den Begriff oder das Wesen des Staates zu be-
stimmen. Das Suchen nach einer Definition des Staates se
ebenso müssig, wie für Anatomie und Physiologie das Suchen
nach einer Definition des Begriffes „Mensch“. Für das innere
Recht eines Staates komme es wesentlich nur darauf an, was es
selbst als Staat ansehe, ohne alle Rücksicht darauf, warum es
so tue; und für das Völkerrecht entscheide ebenso ausschliesslich
die .wechselseitige Anerkennung als Staat, gleichviel, wie dies zu
irgend einer Theorie stimme oder nicht. Der Staatsbegriff müsse
als historischer angesehen werden, d.h. mindestens tejlweise aus
Zeitalter, Volkscharakter u. s. w. heraus bestimmt werden (Prin-
zipienlehre I. S. 311 ff.).
Es ist zuzugeben, dass der Staat zunächst historischer Be-
griff ist; das schliesst aber nicht aus, dass der Begriff einer juri-
stischen Feststellung auch fähig ‘und bedürftig ist. Allerdings
kann.dieser juristische Begriff nur ein formaler sein; bei Fest-
stellung desselben muss die Rücksichtnahme auf den Volkscha-
rakter, die spezifisch kulturellen und sozialen Verhältnisse, die
Eigentümlichkeiten der innern Organisation und des innern Rechts-
lebens wegfallen. Wir trefien den Ausdruck Staat oder einen
ı E. R. BIERLING, Juristische Prinzipienlehre, Bd. IH, J. C. B. Mohr
(Paul Siebeck). Tübingen 1905.