— 602 —
kannt gemacht werden sollen. Die Unzulänglichkeit der „Grundsätze“ des
Bundesrats ist natürlich auch von der Preussischen Gefängnisordnung nicht
überwunden worden. KLEINs Arbeit hat also nicht nur für den praktischen
Beamten, sondern auch für den Theoretiker und Sozialpolitiker ihren Wert.
Dresden Dr. Wulffen.
F. A. Karl Krauss, Der Kampf gegen die Verbrechensur-
sachen. Paderborn, 1905. Ferdinand Schöningh.
Es ist von hohem Interesse, in unseren Tagen die ernste Warnungs-
stimme eines so erfahrenen.Mannes wie dieses ehemaligen Zuchthauspfarrers
zu vernehmen. Er geht von der richtigen, in der Sozialpolitik oft verkann-
ten Voraussetzung aus, dass Verbrechensverhütung ein ungleich dankbareres
Unternehmen ist als Verbrechensbestrafung.
Krauss unterscheidet eine allgemeine oder fundamentale Verbrechens-
prophylaxe durch Religionspflege und Erziehung und eine spezielle Verbre-
chensprophylaxe, welche im Kumpfe gegen den Missbrauch geistiger Ge-
tränke und gegen die Unzucht sowie in der Bekämpfung der Arbeitsscheu,
des Gewohnbeitsbettels und der Landstreicherei und endlich des Rückfalls
in das Verbrechen durch Fürsorge für die Bestraften besteht. KrAUSS ent-
rollt ein ernstes, erschreckendes Bild unsrer gegenwärtigen Zustände. Aus-
gezeichnet z. B. und für den praktischen Kriminalisten bedeutungsvoll ist
das Kapitel „Unzucht und Verbrechen“ (S. 214), in welchem gezeigt wird,
wie viele Verbrechen mit der Unzucht zusammenhängen. Dass der Verbre-
chenskatalog am Dekalog entwickelt wird, erhöht die erschütternde Wirkung.
Dieses Kapitel wünschte ich im Sonderabdruck in jede Gefängnis- und
Zuchthauszelle: Es sind keine geringen Vorwürfe, die KRAUSS gegen den
modernen Staat erhebt, der auf den erwähnten Gebieten der Verbrechens-
verhütung bei weitem zu wenig tätig wird. Dass die Behandlung der Für-
sorge für die Bestraften bei dem Verfasser ganz besonders ergiebig sein
werde, stand nicht anders zu erwarten. Er besitzt auf diesem Gebiete eine
beneidenswerte Erfahrung und ein ausgezeichnetes Urteil. Sympathisch be-
rührt auch im ganzen Buche die Heranziehung von Belegen aus der Bibel
und der alten und neuen Kirchengeschichte. Gleichwohl ist es das religiöse
Moment, welches uns wissenschaftlich von KRAUSS scheiden muss. Wenn
er dem modernen Staate den Vorwurf macht, dass er alles tue, um die
kirchliche Autorität im Volke zu brechen, so darf nicht unerwähnt bleiben,
dass vorher dieselbe Kirche eine gefährliche Alleinherrschaft über die Ge-
müter erstrebte und sich deshalb zur Lösung der ferneren politischen Auf-
gaben als nicht befähigt erwiesen hat. Wenn Krauss beweisen will, dass
unter der Herrschaft der Gottlosigkeit die Kriminalität im Staate gewachsen
sei, so verschweigt er die geschichtliche Wahrheit, dass gegenüber den Ver-
brechen, welche früher im Namen Gottes, Christi und der Religion verübt
worden sind, die gegenwärtige Kriminalität als eine Erleichterung zu be-