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sagte Staatsminister DELBRÜCK in seiner generellen Uebersicht
der Verträge in der Reichstagssitzung vom 5. Dez. 1870, „cha-
rakterisieren sich in der Hauptsache dahin, dass der föderative
Charakter der Bundesverfassung verstärkt ist“. Diese Verstär-
kung des föderativen Verhältnisses wurde aber besonders durch
Erweiterung der Befugnisse des Bundesrates und demgemässe
Schmälerung der Zuständigkeit des Präsidiums hergestellt. Ver-
änderungen in dieser Richtung weisen auf: die Artikel 8, 11,
19, 37 .und 78. In Art. 19 wurde Absatz la und der ganze
Abs. 2 gestrichen, so dass der Artikel die Fassung erbielt: „Wenn
Bundesglieder ihre verfassungsmässigen Bundespflichten nicht er-
füllen, können sie dazu im Wege der Exekution angehalten
werden. Diese Exekution ist vom Bundesrate zu beschliessen
und vom Kaiser zu vollstrecken“. Bezgl. dieser Abänderung
erklärte Staatsminister DELBRÜCK in der soeben erwähnten Reichs-
tagssitzung: „Es ist die Aenderung, die dieser Artikel erhalten,
eine faktisch in der Tat nicht wesentliche; die Veranlassung der
Aenderung liegt hauptsächlich auf dem Gebiete der internatio-
nalen Konvenienz“. Die Vergleichung dieser von den süddeut-
schen Staaten veranlassten Aenderung mit der 4 Jahre vorher
von dem Abgeordneten Kitz vergeblich angestrebten Aenderung
zeigt, dass die beiderseitigen Wünsche in ganz gleicher Richtung
liefen, nur war die spätere durchgesetzte Aenderung eine viel
radikalere als die frühere nicht durchgesetzte: In allen Füllen
ist in erster Linie ein Beschluss des Bundesrates nötig, und
in allen Fällen kommt erst in zweiter Linie die Vollstreckung
durch den Kaiser. Dieser Artikel 19 der deutschen Reichsver-
fassung hat nunmehr bereits über 30 Jahre in Geltung gestan-
den, ohne — glücklicherweise! — bis jetzt auch nur einmal in
praktische Anwendung gekommen zu sein. So hat seine allge-
mein gehaltene Fassung in der Praxis noch keine Meinungsver-
schiedenheiten und damit vielleicht grosse Schädigungen des
deutschen Reiches und des deutschen Volkes hervorrufen können,