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such hier nicht ohne dringende Notwendigkeit, die ja auch im
vorliegenden Falle nicht gegeben war, in die Verfassungsnormen
der Einzelstaaten eingreifen wollen. Dieser Gesichtspunkt ist aber
auch geeignet, eine Erwägung der Vertreter der gegnerischen
Meinung zu entkräften, bei der mit dem Sinn und Zweck der Be-
stimmung des & 6 Ziffer 1 operiert wird. Diese Erwägung geht
nämlich dahin — vgl. insbesondere GAREIS a. a. O. S. 638/639 —
daß das Reich prinzipiell die Integrität des parlamentarischen
Mandats wünsche und beabsichtige, welcher Absicht aber nur durch
die Geltung der Immunitätsbeschränkungen im ganzen Reiche ent-
sprochen werden könne (so auch VON STENGEL in der Münchner
und Augsburger Abendzeitung vom 31. März 1914).
Indes ist die Prämisse, die dieser Argumentation zugrunde
liegt, irrig. Das Reich wünscht allerdings die Integrität des par-
lamentarischen Mandates jedoch nur für seine eigenen Verfassungs-
organe, die Reichstagsmitglieder. Dagegen wird unsere Reichs-
verfassung ja nicht wie die 48er Reichsverfassung von dem Ge-
danken getragen, gewisse politische Ideen oder vielleicht besser
gesagt, Mindestforderungen von Reichs wegen den Einzelstaaten
für ihr inneres Verfassungsrecht aufzuzwingen.
Es liegt in dem Wesen der durchaus föderativen Struktur
unserer Reichsverfassung, sich um das verfassungsmäßige Innen-
leben der Einzelstaaten durchaus nicht zu kümmern. Daran schei-
tern und müssen auch scheitern, wenigstens vom Boden der gel-
tenden Reichsverfassung aus, alle jene Versuche aus dem Gedan-
ken oder aus bestimmten Prinzipien der Reichsverfassung heraus
die Notwendigkeit gewisser verfassungsmäßiger Zustände in den
Einzelstaaten, zum Beispiel eine Verfassung für Mecklenburg oder
ein anderes Wahlrecht für Preußen herzuleiten. Die Reichsver-
fassung betrachtet das innere Staatsrecht der Einzelstaaten als ein
noli me tangere; sie gewährt für jede Verfassungsform in den
Einzelstaaten, für den ständischen Absolutismus Mecklenburgs bis
zur konstitutionellen Republik Hamburgs Raun. Sie will auch