ist wie der Bundesrat, d. h. wenn ein Reichstagsbeschluß den
fortdauernden Willen des Reichstages darstellt. Hieraus
folgt aber ohne weiteres. daß der Reichstag seine Be-
schlüsse solange aufheben und abändern kann,
alsdieselben vom Bundesrat noch nicht zum Ge-
setzerhoben worden sind. Wenn der lteichstag an seine
Beschlüsse gebunden wäre, olıne daß andererseits der Bundesrat
in seinem Sanktionsrecht zeitlich begrenzt ist, so könnte der
Bundesrat im Jahre 1914 einen Reichstagsbeschluß des Jahres
1871 sanktionieren, ohne daß der Reichstag irgend ein Mittel
hätte, sich vor dieser Eventualität zu sichern. Durch die Fassung
eines neuen Beschlusses wird der alte aufgehoben, soweit er mit
dem neuen in Widerspruch steht. Für den Reichstag gilt hier
dasselbe, wie für den Gesetzgeber überhaupt: lex posterior dero-
yat priori.
Die Möglichkeit an sich, seine Beschlüsse aufzuheben oder
abzuändern, besitzt der Reichstag; denn er hat das Recht der
Initiative. (Art. 23 RV.) Hätte er dieses Recht nicht, so
könnte und dürfte er nur darüber beschließen, was ihm vom
Bundesrat zur Beschlußfassung vorgelegt würde. Es würde ihn
dann an dem formalen Mittel fehlen, seine Beschlüsse abzuändern.
Daraus folgt das wichtige Ergebnis:
Wenn der Beschluß eines gesetzgebenden
Organs unbeschränkte zeitliche Gtltigkeithat,
so muß demselben das Recht der Initiative zu-
steben.
Die Möglichkeit der Aufhebung seiner Beschlüsse muß aber
dem Reichstag wie jedem gesetzgebenden Körper nicht nur au
sich, sondern auch jederzeit gegeben sein, d. h. in der ganzen
Zeit, in der der andere gesetzgebende Körper tätig ist.
Hieraus erhebt sich die Forderung, daß grundsätzlich die
gesetzgebenden Körper eines Staates, ebenso Bundesrat und Reichs-
tag, ihre Tätigkeit gleichzeitig ausüben, ein Prin-