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henden Staatsverfassung entnahm und sie noch weiter im Sinne möglichster
bürgerlicher Freiheit ausgestaltete, muß im Laufe der Entwicklung neben
vielen Lichtseiten auch zahlreiche Schattenseiten aufweisen, da das kon-
serrative Element, das in der Erblichkeit der Krone in monarchisch be-
herrschten oder mit einer monarchischen Spitze ausgestatteten Staaten
ruht, gänzlich ausgeschaltet ist und nur der jeweilige Wille der die Souve-
ränität darstellenden Bürger herrscht.
Das umfassende, aus bodenständigem Quellenmaterial schöpfende, an-
schaulich und anregend geschriebene, von Tendenz und Politik freie Werk
Dr. COESTERsS gibt in einer reichen Fülle von Einzeldarstellungen einen
Einblick in die gesamten Verhältnisse der nordamerikanischen Demokratie
und Verwaltung, der Anlaß geben kann, in recht vielen Punkten die hoch-
gepriesene Freiheit der nordamerikanischen Staaten als alles andere denn
einen erstrebenswerten Zustand eines Staates erscheinen zu lassen.
Der Verf. schildert den Aufbau der Staaten, die Verfassungen, die ge-
setzgebenden Körperschaften, das Parteiwesen, die unmittelbare Volksge-
setzgebung, die Rechtspflege, die Staatsverwaltung in ihren verschiedenen
Abteilungen und Unterarten, die Staatsfinanzen und die lokale Selbstver-
waltung.
Von besonderem Interesse ist die Schilderung der Grundlagen und der
Tätigkeit der gesetzgebenden Körperschaften; denn in ihnen
verkörpert sich ja in republikanischen Staaten die eigentliche Volksherr-
schaft. Den wirtschaftlichen Interessen als solchen wird keine Vertretung
im herrschenden System gewährt; denn dieses ist aufgebaut als eine Fest-
stellung des Gemeinwillens nach der Kopfzahl. Aber
außerhalb der offiziellen Ordnung hat sich eine Interessenvertretung ent-
wickelt, welche die politische Maschine den eigenen Zwecken dienstbar zu
machen und sich eine Vormachtstellung zu schaffen gewußt hat, die Lobby.
Diese Vereinigung kontrolliert indirekt die Abgeordneten, Was der Verf.
über die Machenschaften dieser Vereinigung und über die Willkürberr-
schaft der Geschäfts- und Berufspolitiker ausführt, ergibt ein Bild von so
ungeheuerlicher Korruption, daß es fast unglaublich scheint, daß ein Staat
solche Zustände ertragen kann, ohne zugrunde zu gehen. Unter den Mitteln,
welche angewendet werden, um die einzelnen Abgeordneten in Abhängig-
keit zu halten, gibt es gesetzliche und ungesetzliche, anerkannte und heim-
liche, Dr. CoESTER schildert sie alle ausführlich und belegt seine Angaben
mit Quellenmaterial. Indirekte Bestechung ist noch eines der harmlosesten
Mittel; die Abgeordneten wissen sich aber auch selbst zu bereichern: man
kann sich für die Abstimmung bezablen lassen; ein solcher Abgeordneter
kann seine Stimme andern bei deren Spezial-Gesetzgebung zusichern unter
der Bedingung, daß jene sein Spezial-Gesetz annehmen, eine dritte Mög-
lichkeit ist die Erpressung. Es ist bezeichnend, daß ein von Dr. CoESTER
erwähnter amerikanischer Schriftsteller, Bryck, auf Grund langjähriger
Archiv des öffentlichen Rechts. XXXIII. 12. 18