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Studien über die Korruption in Amerika zu folgenden Feststellungen ge-
langte:
Bestechung existiert im Kongreß, doch ist es nur eine kleine Anzahl
Abgeordneter, vielleicht 5 Proz., welche dafür zugänglich sind. Häufiger
kommen Bestechungen in den Legislaturen der Einzelstaaten vor. Bei den
höheren Bundesbeamten ist derartiges so gut wie ausgeschlossen ; auch bei
den Häuptern der Staatsverwaltung kommen Bestechungen kaum vor, bei
den anderen Beamten jedenfalls nicht häufig; der Mißbrauch der Öffent-
lichen Stellungen zugunsten der einzelnen Personen, der sog. Job, kommt
häufiger vor und ist in großen Städten allgemein üblich. Weitaus am
schlimmsten ist es mit den Verwaltungen der Großstädte bestellt, wo der
Stand der öffentlichen Moral niedriger gesunken ist, als in irgend einem
europäischen Land.
Der Verf. geht auch der Möglichkeit nach, daß die Parteien Reformen
dieser Zustände anstreben; allein er findet, daß gerade das Gegenteil der
Fall ist, weil die öffentliche Meinung den Staatparlamenten wenig Auf-
merksamkeit zuwendet und die Alleinherrschaft engeren Interessen über-
lassen hat.
Wert, mit Bedacht gelesen zu werden, sind die Schilderungen der
Parteiverhältnisse und der Berufspolitiker und die ganz eigenartige (ie-
staltung und Tätigkeit der Wahlorganisationen, die die eigentlichen „Ma-
cher“ der Abgeordneten sind.
Für die republikanischen Staaten ist die unmittelbare Volks»-
gesetzgebung ein wichtiger Verfassungsgrundsatz; es wird auch den
vom Volk selbst ausgehenden Gesetzen als Hauptvorzug die Stetigkeit nach-
gerühmt und die Ansicht vertreten, daß die unmittelbare Volksgesetzgebung
gegenwärtig mehr Unheil verhütet als anrichtet.
Gegenüber den korrupten Zuständen in der Gesetzgebungsmaschinerie
sind die Verhältnisse in der Rechtspflege nicht ungünstig, obwohl
auch hier die Wahl der unteren Gerichtsbeamten durch das Volk zu glei-
chen Erscheinungen zu führen geeignet ist, wie sie bei der Wahl der Ab-
geordneten zutage treten. In unserer Zeit der Freirechtsbewegung in Deutsch-
land sind die Schilderungen der amerikanischen Rechtsentwicklung und
Rechtsfindung, die überwiegend auf dem ungeschriebenen Common Law.
dem Produkt sozialer Erfahrung, beruht, recht beachtenswert, zumal da
die meisten nordamerikanischen Richter gegen eine Kodifizierung und gegen
radikale Aenderungen sind, und die allgemeine Meinung dahin geht, daß
der Rechtsgang kein geeigneter Gegenstand für die gesetzgeberische Ein-
mischung ist, und daß die Pflege und Entwicklung des gemeinen Rechts
besser den Richtern überlassen bleiben. Darum ist es auch Staatsgrund-
gesetz. daß die Gerichte über die Rechtswirksamkeit neuer Gesetze zu ent-
scheiden haben und sie für unwirksam erklären können, wenn sie gegen