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polizeistaatliche Maßregeln, wie z. B. die vom Verf. unbeachtet gelassene
Anzeigepflicht der Juden für den Fall, daß ihnen gestohlene Sachen zum
Kauf angeboten wurden.
Im Gegensatz zur Rechtsgeschichte der preußischen Juden im 18. Jahr-
hundert, deren staatswissenschaftliches Interesse wesentlich gegeben ist in
den Beiträgen zur Charakteristik des Polizeistaats überhaupt, ist diejenige
der Folgezeit von Interesse besonders für die Entwicklungsgeschichte de.
preußischen Staatslebens. Wichtig ist hier schon, daß der eigentliche Aus-
gangspunkt der Reformen gegeben ist mit demselben Datum, mit dem
überhaupt die Reform des preußischen Staatswesens beginnt: mit dem
Jahre 1806. Die Humanitäts- und Freiheitsideale, aus denen die Wieder-
geburt Preußens erfolgte, gaben auch die gedanklichen Grundlagen für die
Emanzipation der Juden. SCHRÖTTER, von dem der erste Reformentwurf
ausging, gehörte zu dem geistigen Kreise Steins, der selbst an ihm die
„Empfänglichkeit für liberale und größere Verwaltungsgrundsätze* rühmt.
Nicht unwahrscheinlich ist daher, daß, wie FREUND nachzuweisen versucht.
auch auf diesem speziellen Gebiete die Initiative zu den Reformen nicht
vom Könige ausging. Andererseits sind es die leitenden Ideen der geistı-
gen Führer der Nation, deren Niederschläge wir in allen Reformplänen
auch im Kleinsten bemerken. So wendet sich HUMBOLDT gegen die in deu
SCHRÖTTERschen Entwurf vorgesehene Verpflichtung des Bartscheerens der
Juden, weil jedermann in diesen Dingen Freiheit haben müsse, solange er
den Anstand nicht verletze. Der Humanitätsgedanke der Zeit ließ ihn die
detaillierte Aufführung der den Juden einzuräumenden Rechte für verfehlt
und es für notwendig halten, ihre prinzipielle Gleichstellung mit den Chri-
sten zur Grundlage zu machen, sie auch — eine rein menschliche Er-
wägung -— unter allen Umständen davor zu bewahren, daß sie sich als
Juden ausweisen müßten. Besonders typisch aber ist sein Einwand gegen
eine härtere Bestrafung der Jüdischen Deserteure: „Daß sie nicht hänfig seı.
dafür werden der Spott und die Vorwürfe der Christen sorgen. Geschähen
indes auch wirklich ein paar Desertionsfälle mehr: muß denn der Staat
jeder einzelnen Kontravention so ängstlich vorbeugen?* Ebenso praktisch
politisch wie humanitär gedacht ist die entschiedene Stellung HUMBOLDT:
für die Vollgültigkeit des jüdischen Eides „als Fundament jeder irgend
erträglichen Gesetzgebung über die Juden und für die unerläßliche Be-
dingung jeder Reform dieser Nation“, und besonders interessant dabei die
Berücksichtigung des Selbstverwaltungsgedankens in der Erwähnung der
Zusammenarbeit von Juden und Christen in den städtischen Versamınlungen.
Am stärksten aber tritt diese Verbindung klarer realpolitischer Er-
wägungen mit den höchsten humanitären Ideen hervor in den Ausführungen
HUMBoLDTs, mit denen er sich gegen einen weiteren Ausbau der jüdischen
Kirchen wendet: „Denn. wenn man diesen unterläßt, werden die Individuen
gewahr werden, daß sie nur ein Zeremonialgesetz und eigentlich keine