Full text: Archiv des öffentlichen Rechts. 33. Band. (33)

bürger sind. Von der anderen Seite wird ihnen selbst vorgehalten, sie ver- 
gäßen, wie groß die Gabe ist, die im Laufe des letzten Jahrhunderts der 
Staat als die rechtliche Organisation unseres Volkes ihnen geboten habe, 
indem er den Volksfremden ein Gastrecht gewährte, das sie den Volksglie- 
dern völlig gleichstellt; sie bedächten nicht, daß diese rechtliche Position 
sozial erst erworben werden müsse durch die Erfüllung der Erwartungen, 
in denen sie gegeben wurde: der Anpassung an die geistigen und ethischen 
Grundgesetze unseres bürgerlichen Lebens, an die deutsche Kultur; sie 
übersähen, daß diese Position sozial nicht gestärkt werde durch ein Ueber- 
spannen neuer Forderungen, auch wenn diese logisch und juristisch aus 
ihrer jetzigen rechtlichen Stellung sich vielleicht ableiten lassen. Wie 
immer aber man über diese unendlich schwierigen Probleme denken mag, 
eins ist m. E. sicher: das einfache Prinzip des Antisemitismus kann sozio- 
logisch wie staatsrechtlich nie zu ihrer Lösung führen, solange man die 
Juden nicht schlechterdings aus dem Staat, aus dem Volk ausschalten 
kann und will. Im Jahre 1808 schrieb SCHRÖTTER an Friedrich Wilhelm III: 
„Es würde weit besser sein, die ganze jüdische Nation aus dem Staate zu 
verbannen, als einen kleinen Staat im Staate zu dulden, den man von allen 
Seiten gesetzmäßig und gewaltsam zusammenpreßt, ihm dadurch eine nähere 
und weitere Vereinigung und vermöge so vieler ihm zu Gebote stehender 
moralischer als physischer Hilfsmittel eine Spannkraft gibt, mit der dieser 
kleine Staat auf allen Seiten die ihm gesetzten Schranken, teils zu über- 
schreiten, teils zu zerbrechen weiß.“ Was für den Staat damals galt, gilt 
noch heute für die Gesellschaft, mit einer einfachen Verneinung ist nirgends 
im Leben etwas getan. Aber gerade, wenn man sieht, wie Vertreter der 
modernsten publizistischen Wissenschaft des 20. Jahrhunderts sich mit 
solch einfacher Negation begnügen unter Verzicht auf die praktisch-poli- 
tische Klarheit und ideale Humanität, die schon vor mehr denn 100 Jahren 
den preußischen Staat beherrschte, so kann das — im Hinblick auf die 
hier zunächst nur interessierende staatsrechtliche Seite der Frage — m. E. 
für uns nur ein Grund sein, mit Stolz zurückzublicken auf die Fähigkeit 
zur Verarbeitung edler sittlicher und politisch objektiver Ideen, die unser 
preußischer Staat in jener großen Zeit auch auf diesem besonderen Ge- 
biete bewiesen hat. Wolzendorff. 
Koellreuter, Otto, Verwaltungsrechtund Verwaltungsrecht- 
sprechung im modernen England. (Eine rechtsverglei- 
chende Studie.) Tübingen, J. C. B. Mohr (Paul Siebeck) 1912, 226 S. 
Die Schwierigkeiten rechtsvergleichender Untersuchungen des in seiner 
ganzen Struktur dem unseren so wesensfremden öffentlichen englischen 
Rechts werden erhöht durch die methodische Verschiedenheit zwischen 
unserer Staatsrechtswissenschaft und der oft allzupraktischen englischen,
	        
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