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mark (zum mindesten im Vergleich zum französischen Recht, m. E. aber
überhaupt) unvollständig und einseitig wäre. — Für diese eigentümliche
Erscheinung: einerseits Ausdehnung der richterlichen Gewalt (Rechtspre-
chung über die Verwaltung), andererseits weitgehende freie Zuständigkeit
der Verwaltung, bietet das folgende Kapitel „Rechtsprechung“ ein Beispiel,
in dem die Unklarheit der Prinzipien zu Wirkungen von noch viel größerer
Tragweite führt: auf der einen Seite erstreckt sich nach der jetzigen
Rechtspraxis (vgl. Nachtrag S. 265) die Jurisdiktion der Gerichte über die
Gesetzgebung selbst, indem die Gerichte die Verfassungsmäßigkeit der Ge-
setze nachzuprüfen haben, auf der andern Seite ist die Unabhängigkeit
der Richter keineswegs allgemein garantiert: die Bestimmungen des $ 73
GG. über die Rechtsstellung der Richter stimmen zwar im wesentlichen
mit denen der Art. 86 Abs. 1 und Art. 87 Abs. 2 preuß. Verf.-Urk. überein,
finden aber keine Anwendung auf die Richter, die zugleich administrative
Geschäfte haben, und das sind, mit einer einzigen Ausnahme, sämtliche
Unterrichter außerhalb Kopenhagens. Es ist überhaupt für unsere Auffas-
sung vom Rechtsschutzbedürfnis der Einzelfreiheit auffallend, daß das
dänische Recht, das gegenüber den höheren Instanzen eine so stark aus-
geprägte Tendenz zur Schaffung weitestgehender Garantien, wie Minister-
anklage u. dergl. zeigt, gegenüber den niederen Instanzen sich mit so ge-
ringen Garantien begnügt, sowohl, wie wir soeben sahen, gegenüber der
administrativen Befehlsgewalt, als auch gegenüber der kriminellen Richter-
gewalt: bisher wenigstens ist gerade jene Garantie für volle Aufklärung
jeder Anklage, deren Unentbehrlichkeit bei uns, trotz aller sonst die straf-
prozessualen Prinzipienfragen verwirrenden Parteimeinungen, vollständig
unbezweifelt ist, die Unmittelbarkeit und Mündlichkeit des Verfahrens,
noch nicht geltenden Rechtes. — Das Kapitel über die Kommunen zeigt
die Neigung des dänischen Rechtes, in politischen Fragen fortschrittlichen
Postulaten Verwirklichung zu gewähren, indem es in den Kommunen den
Frauen ein Wahlrecht unter ganz gleichen Bedingungen wie den Männern
gegeben und damit einen Zustand herbeigeführt hat, der der politischen
Gerechtigkeit (gleiche Lasten, gleiche Rechte) zweifellos entspricht und
dessen politische Zweckmäßigkeit von der Gesetzgebung der deutschen
Staaten — wenigstens nach seiner Verwirklichung zu schließen — so merk-
würdig verschieden beurteilt wird. (Vgl. WBSt. u. VerwR. Bd. I S. 844.)
Der nächste Abschnitt, „die Staatszwecke“, gibt in vier Kapiteln einen
Leberblick über die materielle Regelung des öffentlichen Lebens unter den
Gesichtspunkten der Handhabung des Rechtes, der Sorge für das materielle
Gemeinwohl, die geistigen Gemeininteressen und die internationalen Be-
ziehungen. In der Fülle aller der hierhergehörigen, für die praktische
Kenntnis des dänischen Rechts gleich wichtigen positiven Rechtsvorschriften
eind für die Betrachtung der staatsrechtlichen Grundanschauungen beson-
ders wertvoll zwei Rechtsinstitute, die beide Probleme staatlicher Kultur