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dem „Halten über* die Gesetze oder dem „Schützen* der Gesetze (z. B.
die Wahlkapitulationen Ferdinands I. Art. II, Maximilians II. Art. II,
Rudolphs II. Art. OH, Matthias’ Art. III, Josephs I. Art. XIX, Franz I. Art. VII
$ 1, Josephs II. Art. VII $1; vgl. Cur. Zirener, Wahl-Capitulationes
1711 8. 25, 40. 57, 75, 311; J. J. Moser, Betrachtungen über die Wahl-
kapitulation Kaiser Josephs II. 1777 S. 257 ff.) Dies „Halten über“ bedeutet
nichts anderes als die Sorge für die Ausführung der Gesetze oder die
Ausführung selbst, wie man denn auch von der Pflicht der Behörden
‚über denen Polizeigesetzen zu halten“ sprach (J. J. Moser, Von der Lan-
deshoheit in Polizeysachen 1773 S. 11). In der Rechtslehre handelte es
sich aber hierbei um ein ganz besonderes Rechtsinstitut, PÜUTTER übersetzt
das „Handbaben“ oder „Halten über“ mit observare (J. St. PCTTkr, Ele-
menta Juris Publici Germanici 1764 S. 223), also beobachten, beaufsichti-
gen: die „Handhabung“ der Gesetze ist demnach im Sinne des älteren deut-
schen Staatsrechts nur ein Teil der Oberaufsicht, der suprema inspectio,
deren Ausübung in zwei Richtungen gedacht wurde, sive ad praeparandam
legislationem aliudve jus regiminis exercendum. sive ad exsequenda
quae iam statuta sunt (J. St. POTTER, Institutiones Juris Publici Ger-
manici 1787 S. 236). Dieser, der Staatslehre des 18. Jahrhunderts entnom-
mene Begriff wurde nun aber — und das ist für uns das wichtigste und
interessanteste — gerade in den beiden ersten Jahrzehnten des 19. Jahr-
hunderts von dem wenigstens in der Praxis angesehensten Staatsrechts-
lehrer jener Zeit verwertet in seltsamer Vermengung mit der MONTES-
grietschen Gewaltentrennungstheorie; er stellte die Trias politica in der
Form auf, daß man neben 1. die gesetzgebende Gewalt setzte. 2. die aus-
übende oder exekutive, welche die Gesetze zur Ausführung bringt und 3.
die aufsehende, welche Gesetz und Ausführung überwacht (J. L. KLÜBER,
Oeffentliches Recht des teutschen Bundes und der Bundesstaaten 1817
8278 f., S. 444 ff. Ueber die Bedeutung dieser Theorie für die spätere Lehre
vgl.v. ROnnE, Das Staatsrecht der preußischen Monarchie 3. Aufl. 1869 Bd. 1
$.170f. Anm.5). An diese Theorie der angesehensten Staatsrechtalehrer ihrer
Zeit hat sich offenbar die hessische Verfassung in Art. 73 angelehnt, inden sie
neben die Exekutive noch die Handhabung, d. h. die Beaufsichtigung der
Gesetzesausführung und Behebung etwa dabei zutage tretender Müngel
setzte. Deshalb ist m. E. die landesherrliche Verordnungsbefugnis zur „Voll-
streckung und Handhabung der Gesetze*, ohne daß eine grammatikalische
Wortinterpretation (wie die vom Verf. versuchte) hier am Platze wäre, ein-
fach anzusehen als die Kompetenz zur Firlassung von Ausführungsverord-
nungen, wie sie das gemeine deutsche Staatsrecht dem Monarchen zuer-
kennt, Fast aus den gleichen rechtshistorischen Gründen, die zur Klärung
des Begriftes der „Vollstreckung und Handhabung® geführt haben, ergibt
sich weiter aber auch die Lösung einer zweiten Interpretationsfrage aus
dem Art. 73, die dem Verf. m. E. ebenfalls wegen der Außerachtlassung