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die innerhalb der Rechtsschranken liegende Macht ein Recht
ist®“. Nimmt man rechtliche Pflichten des Siegers an, so muß
man auch auf der Kehrseite wirkliche Rechte gelten lassen,
und die Konferenz mußte gewisse Rechte gewähren, damit sie
um so mehr Rechtspflichten auferlegen konnte. Ebenso liegt
die Sache für die Einwohner. Schon v. MARTENS erwiderte dem
belgischen Staatsminister: „Man könne von dem Stärkeren nicht
verlangen, daß er Rechte des Schwächeren achte, wenn dieser
nicht gewisse Pflichten für sich anerkenne*. Die Pflichten der
Einwobner sind aber Rechte des Besetzenden. Wenn weiter der
besetzende Staat bezüglich des unbeweglichen Staatsgutes im
Feindesland nach Art. 55 „nur als Verwalter und Nutznießer*
zu betrachten ist, so will das „nur“ ihm das Eigentum vorent-
halten und ihn auf die Verwaltung und Nutznießung beschränken.
Aber diese ist dann auch sein Recht. Wie kann man da sagen:
die Negation ist rechtlich, die Position aber tatsächlich? Die
Konferenz mühte sich hier an einer unlösbaren Aufgahe ab.
Obschon BEERNAERT und die ganze Konferenz sehen mußten
und auch sahen, daß es sich hier nicht mehr um bloße Macht,
sondern um Rechte handelt®?, wurde doch hartnäckig an der
Fiktion festgehalten, es ständen lediglich Beschränkungen der
Macht in Frage. Dieser falsche Grundton geht durch die ganze
Verhandlung. BEERNAERT ‚wurde nicht müde, immer wieder auf
sein Lieblingsthema zurückzukommen, und die Mitglieder folgten
dem Dirigentenstab in bewunderungswürdiger Fügsamkeit. Daß
eine falsche Idee mit Zähigkeit zur Grundlage der ganzen Ver-
8“ So auch Max HuBer im Jahrb. des öffentlichen Rechts II (1908)
S.570 f.: „Diese Beschränkungen der Kriegsgewalt bilden in ihrer Gesamt-
heit das Kriegsrecht. Durch sie erst erhält die Kriegsgewalt einen recht-
lichen Inhalt, wird selbst ein Rechtsbegriff; an sich ist sie nur eine Tat-
sache.*
° Der Schiedsspruch des Haager Schiedsgerichts im Casablanca-Fall
v. 27. Mai 1909 hat diese Auffassung bestätigt.