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Nachfolge, keine Staatsgewalt. Der Besetzende steht wohl an
Stelle der alten Staatsgewalt °!, ist aber nicht deren Stellvertreter
und Geschäftsführer ®. Er nimmt durch die Okkupation und
im okkupierten Land seine eigenen Interessen wahr. Er will im
Besetzungsgebiet Herr sein. Er übt ein eigenes Recht aus, das
sich lediglich auf die militärische Besetzung gründet und nur
im Völkerrecht seinen Rechtstitel findet, wie das Völkerrecht
allein auch den Inhalt, die Schranken und den Zweck dieser Herr-
schaft regelt.
I. Und da muß zunächst betont werden, daß die Besetzung
eines feindlichen Gebietes ein erlaubtes Kriegsmittel
istund mithin den Zweck verfolgt, den Willen
des Gegners mit Gewalt zu brechen °®. Dieses Zu-
sammenhangs muß man sich stets bewußt bleiben, wenn auch
die Landkriegsordnung es nicht für nötig befunden hat, diesen
Hauptzweck zu erwähnen, geschweige denn ihn auf die Höhe
eines schöpferischen Prinzips zu erheben. Aus einzelnen Anord-
nungen leuchtet er allerdings klar hervor, und das genügt schließlich.
Wenn z. B. der Art. 53 die Beschlagnahme von Kriegsmitteln, der
3 Deshalb meinte Roum (III. 129): „une simple substitution
du pouvoir de l’occupant au pouvoir legal“. Vgl. auch BEERNAERT II. 135:
„On a decide d’autoriser l'’envahisseur & se substituer & l'autorit6 de
l'’Etat envahi“. Ebenso der angeführte Erlaß des Grafen von BISMAR0K-
BOHLEN.
®? Auch J. KOHLER in der Deutschen Juristenzeitung 19. Jahrg. 1914,
S. 1228 sprach sich gegen die Vertretungstheorie aus.
s Wenn ALBERT ZORN (S. 221) gegen ROLIN-JAEQUEMYNS bemerkt,
daß die Okkupation nicht Mittel, sondern „Folge der Kriegsführung*
sei, so ist diese Unterscheidung etwas künstlich und auch nicht richtig.
Der Kriegführende kann doch auch einfach vorwärts dringen, ohne sich
weiter um das Schicksal des Hinterlands zu kümmern. Das letztere bleibt
dann für ihn einfach Durchzugsgebiet. Erst wenn sich der Feind in dem
Gebiet, in das er eingedrungen ist, festsetzt, um es zu beherrschen, kann
von einem Okkupationsgebiet die Rede sein. Diese Festsetzung ist dann
aber ein weiteres Mittel der Kriegsführung, das dem siegreichen Kampfe
folgt, ohne eine einfache und notwendige Folge desselben zu sein.